Vor einer Woche wurde an dieser Stelle beschrieben, wie die Druckschaukel über dem Atlantik allmählich wieder eine Westlage in Gang bringt und eine Umstellung von der Frühlings- zur Sommerzirkulation einleiten könnte. Der Konjunktiv war durchaus berechtigt, wie sich heute herausstellt, denn die Westlage entpuppte sich als Strohfeuer. Das Azorenhoch zieht sich in den nächsten Tagen wieder nach Westen zurück und zeigt uns die kalte Schulter, für Tröge und abtropfende Tiefs ist das Fenster über Westeuropa sperrangelweit geöffnet. Es ist eine Konstellation, die fatal an die Sommer 2012 und 2014 erinnert. Allerdings ist es meines Erachtens noch zu früh, wie andere prominente Wetterblogger bereits jetzt die Grabesrede für den Sommer anzustimmen. Noch steht uns der Siebenschläferzeitraum bevor, während dem sich in den meisten Jahren die Zirkulation noch mal grundlegend umstellt. Tatsächlich zeigen die Mittelfristkarten zum Monatswechsel eine Verlagerung des Jetstreams nach Norden. Ob genügend Fleisch an diesem Knochen hängt oder es sich lediglich um einen nicht selten von den Modellen gezeigten jahreszeitlichen Soll-Zustand handelt (von einigen gerne Sommermöhre genannt), darüber zu spekulieren wäre heute müssig.
Wenden wir uns lieber der aktuellen Situation zu. Typisch für den Frühling sind meridionale Lagen, bei denen grossräumig die warmen und kalten Luftmassen in Nord-Süd-Richtung einen Ausgleich zwischen den kalten Polargebieten und den warmen Tropen anstreben. Ist der Jetstream schwach, wird er dabei gewaltig verbogen und kann sehr weit nach Süden ausgreifen, so wie dies momentan der Fall ist:
Solche Langwellen sind bezüglich ihrer Verlagerung in östlicher Richtung sehr träge und können längere Zeit über derselben Region verharren, während kurzwellige Ausschläge zügiger vorankommen und für rasche Wechsel der Wetterlagen sorgen. Speziell an der jetzigen Situation ist der Verlauf des Maximums direkt über die Alpen hinweg. Dort, wo der Jetstream einen Richtungswechsel vollzieht, fächert die Strömung in rund 9000 m Höhe auf (zu sehen an verschiedenen weissen Plus-Zeichen auf der Karte), bildet also Divergenzen. Strömt die Masse in der Höhe auseinander, muss Luft aus tieferen Schichten nachströmen, es ensteht dynamische Hebung, und diesem Fall grossräumig in Alpennähe. Hinzu kommt die durch das Gebirge orographisch erzwungene Hebung, was einem ungemütlichen Giftcocktail entspricht, zumal durch das Mittelmeer angefeuchtete, sehr warme und somit energiereiche Luftmassen im Spiel sind. Höhendivergenz und Über- sowie Umströmung eines Gebirges sind für Tiefdruckbildung am Boden zuständig, was dort wiederum Konvergenzen bildet und die Hebung weiter unterstützt. Das Ergebnis ist eine für die Jahreszeit aussergewöhnlich rasche Tiefdruckentwicklung auf der Alpennordseite, die mit der Höhenströmung rasch nach Nordosten weiterzieht und auch den Ländern des nördlichen und östlichen Mitteleuropa Unwetter beschert. Doch zurück in die Schweiz:
Die oben geschilderten Prozesse sorgen für enorme Regenmengen in kurzer Zeit, dargestellt sind auf dieser Karte die prognostizierten Summen von 30 Stunden von Donnerstag 02:00 bis Freitag 08:00 MESZ. Auf der Alpensüdseite stellen solche Mengen in der Regel kein grösseres Problem dar, dennoch kann hier und da ein Bach hochgehen, wenn eingelagerte Gewitter für erhöhte Stundensummen sorgen. Mehr Sorge muss das Übergreifen auf die seit einem Monat ununterbrochen nasse Alpennordseite bereiten, hier können die Böden kaum noch Wasser aufnehmen und der Niederschlag gelangt in kürzester Zeit in den Abfluss. Zusammen mit der laufenden Schneeschmelze sorgt dies auch an grösseren Flüssen für Gefahr, wobei sich in letzter Zeit gezeigt hat, dass die Abflussmodelle vermutlich den Sättigungsgrad der Böden unterschätzen und die Abflussspitzen mitunter deutlich zu niedrig ansetzen.
Glücklicherweise verlagert sich der Feuchtefluss am Freitagmorgen nach Osten und verlässt die Schweiz. Auf der Rückseite fliesst aus Westen etwas energieärmere Luft nach, die allerdings immer noch feucht und labil genug ist, um weitere Schauer und Gewitter auszulösen. Mit extremen Entwicklungen ist nicht zu rechnen, dennoch ist jeder Regenguss auf die durchnässten Böden der potenzielle Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen kann. Das Risiko lokaler Überflutungen und Erdrutsche bleibt somit noch bis weit in die nächste Woche hinein bestehen. Am Samstag erreicht uns aus Nordwesten die nächste Kaltfront (Grenze grün zu gelb):
Das Einfliessen kühlerer Luft in Bodennähe sorgt vorübergehend für eine leichte Stabilisierung der Atmosphäre. Es kommt meist nur noch zu Schauern mit vereinzelten Blitzentladungen, Typ Aprilwetter mit sonnigen Abschnitten zwischendurch.
Am Sonntag drehen Höhen- und Bodenströmung auf nördliche Richtung, über der Westschweiz oder etwas westlich davon vollzieht sich der Abtropfprozess eines Höhentiefs vom nördlichen Trog:
In der Höhenkaltluft entstehen neue Schauer und Gewitter vom Typ „Schwachstrom“. Mit der Nordströmung ist allerdings mit länger anhaltenden Stauniederschlägen am Alpennordhang zu rechnen, die – wie könnte es anders sein – im ohnehin schon triefenden Osten des Landes ergiebiger ausfallen dürften als weiter westlich.
Ab Montag verkommt die Lage zum Roulette: Das abgetropfte Tief eiert irgendwo südlich der Alpen herum. Waren die Modelle in den letzten Tagen auf eine extreme Tiefdruckbildung mit Vb-Zugbahn aus, welche den Alpen weitere extreme Niederschläge besorgt hätte, so geht der Trend momentan eher in die Richtung, dass sich das Tief relativ stationär und für uns weit südlich genug allmählich auffüllt. Doch es gibt einen Grundsatz in der Meteorologie der da lautet: Traue keinem Kaltlufttropfen! Der weitere Verlauf dieses eigenwilligen Gewächses ist völlig unmöglich vorherzusagen. Es gibt durchaus plausible Modellrechnungen, die das Tief früher (Dienstag/Mittwoch) oder später (Donnerstag/Freitag) wieder nach Norden ziehen lassen.
Hier dargestellt ist eine Variante, bei der ein neuer Trog im Lauf des Donnerstags nach Westeuropa ausbricht und den verbleibenden Kaltlufttropfen über dem Mittelmeer einfängt. Auch wenn es von Montag bis Mittwoch im besten Fall mal eine etwas ruhigere Phase geben sollte, ist in der Folge mit neuen, womöglich ergiebigen Niederschlägen zu rechnen. In einer Woche wissen wir mehr…