Eigentlich ist das festgefahrene Zirkulationsmuster für Meteorologen eine dankbare Sache, zumindest was mittelfristige Prognosen angeht: So wurde die potenzielle Unwetterlage für heute Freitag bereits vor einer Woche von den Modellen recht gut erfasst, weil die Systeme recht träge sind, wenn nicht gerade ein kleiner Kaltlufttropfen in die Suppe spuckt. Leider kann man sich dafür in der Kurzfrist nix kaufen, wenn die Gewittersysteme, die noch entstehen sollen, von den Lokalmodellen alle 3 oder 6 Stunden völlig anders gerechnet werden. Das Problem liegt diesmal nicht in der Erfassung der Intensität oder der geographischen Verteilung, sondern auf der zeitlichen Skala. Man kann somit recht sicher sagen, dass es irgendwann im Verlauf der zweiten Tageshälfte in weiten Teilen der Schweiz recht grob zur Sache geht, nur leider nicht, ob dies an einem bestimmten Punkt am frühen oder späten Abend oder erst in der Nacht geschieht. Man kann dann nur hoffen, dass die trockenen Zeitfenster zwischen zwei Gewittersystemen sich an den Fahrplan halten, wenn man z.B. bei Freilichtveranstaltungen darauf angewiesen ist.
Die Strömungskarte im Titelbild mit den Drucksystemen in rund 5500 m Höhe zeigt den vor einer Woche bereits angekündigten Westeuropa-Trog, auf dessen Vorderseite heute sehr warme und zunehmend feuchte Luft aus Südwesten herangeführt wird. Dieser Trog bewegt sich im Lauf des Wochenendes unter Abschwächung sehr langsam über Mitteleuropa hinweg nach Osten, um sich dann dort zu Beginn der kommenden Woche als abgetropftes Tief festzusetzen. Dabei ist noch nicht ganz klar, wie lange sein Einfluss besonders auf die östlichen Landesteile noch anhält.
Von höchstem Interesse bezüglich Unwettergefahr ist aufgrund der vorhandenen Energie und Labilität vor allem der heutige Freitag. -14 Grad in 500 hPa und gegen +18 Grad in 850 hPa lassen keine Zweifel offen, dass da ordentlich Zunder in der Atmosphäre liegt. Man darf sich von kleinräumigen „Wärmeblasen“ in mittleren Luftschichten nicht täuschen lassen, die in manchen Modellen gerechnet werden: Sie weisen höchstens darauf hin, dass da ordentlich viel warme Luft vom Boden in die Höhe gesogen wird. Verstärkt wird dieser Auftrieb zusätzlich durch Divergenz in rund 9 km Höhe, wo der verkrüppelte Jetstream wieder mal kurz vorbeischaut:
Die dicht gedrängten Linien mit dem Plus im Zentrum über dem Jura zeigen extreme Divergenz in der Höhe an. Wo die Luft derart stark auseinander strömt, muss von unten Nachschub folgen. Man kann jetzt natürlich die Huhn-oder-Ei-Frage stellen: Was war zuerst, das Saugen von oben oder das Hochdrücken von unten? Für uns schlussendlich egal: Es zeigt uns einfach an, dass da gewaltige Kräfte im Spiel sind, welche die Luft (und somit Wasser und Eis) in sehr grosse Höhen verfrachten und damit perfekte Bedingungen für die Bildung von grossem Hagel gegeben sind. Entsprechend zeigen die experimentellen Hagelkarten von Estofex im Jura und den westlichen Voralpen potenzielle Korngrössen bis 6 cm an. Stellt sich also nur noch die Frage des Timings: Die bereits jetzt vor Mittag starken Quellungen lassen darauf schliessen, dass im Lauf des Nachmittags vielerorts, aber noch hauptsächlich auf das Relief beschränkt, heftige Gewitter losbrechen. Nebst der bereits angesprochenen Hagelgefahr muss lokal auch mit Sturzfluten gerechnet werden. Die Zuggeschwindigkeit ist nämlich mit rund 30 km/h nicht gerade sehr hoch. Dass solch heftige Gewitter auch für lokale Downbursts sorgen können, versteht sich von selbst. Und dann folgt der Schlüsselmoment: Je heftiger sich die Gewitter am Nachmittag austoben, umso höher ist die Chance, dass sich in den Abendstunden ein ruhigeres Fenster auftut (für alle, die noch etwas draussen vorhaben). Zwischen den in der Westhälfte der Schweiz entstandenen Gewittern und einem wahrscheinlich über Frankreich entstehenden System muss nämlich die hochgepumpte Luft mal absinken. Dauer, Zeitpunkt und Zuverlässigkeit dieser ruhigeren Phase ist somit von der Aktivität am Nachmittag einerseits und derjenigen über Frankreich abhängig. Und dann stellt sich natürlich die Frage: Wie vital kommt das System aus Frankreich am späten Abend oder in der Nacht noch in der Schweiz an? Denkbar ist ein noch gesundes MCS mit grossräumiger Gewittertätigkeit, hohen Blitzraten und einer durchs Mittelland laufenden Druckwelle mit Sturmböen. Besser für die Natur und die Landwirtschaft wäre hingegen ein sich bereits abschwächendes System mit flächigem, aber nicht zu heftigem und gewittrig durchsetztem Regen, das in der Nacht durchzieht. Die Modelle haben alle möglichen Abstufungen im Programm, endgültig wissen tun wir es wahrscheinlich erst wenige Stunden vor dem Eintreffen.
Am Samstag zieht der Trog allmählich über die Schweiz hinweg nach Osten. Wie schnell er das tut, darüber sind sich die Modelle nicht einig. Klar ist, dass es tagsüber meist bewölkt ist und immer wieder Schauer und Gewitter niedergehen. Organisiert ist die Sache wahrscheinlich nicht mehr, somit sind Ort und Zeitpunkt der Regengüsse eher zufällig. Immerhin dürfte ein Grossteil der Fläche mal etwas abbekommen, wenn auch die Verteilung nicht immer ganz gerecht sein wird. Fraglich ist, ob sich die Sache am Abend bereits beruhigt (wieder für jene, die draussen etwas vorhaben), oder ob es noch weit bis in die Nacht immer wieder mal nass werden kann.
Am Sonntag befinden wir uns auf der Rückseite des Troges in einer Nordströmung:
Die bodennahe feuchte Luft wird dabei nicht ausgeräumt, sondern im Gegenteil an die Alpennordseite gedrückt. Die Labilität ist nur noch mässig, sodass die Unwettergefahr deutlich sinkt, dennoch muss man den ganzen Tag immer wieder mit gewittrigen Schauern rechnen. Am Alpennordhang kann es auch länger anhaltend regnen, der Natur wäre es zu wünschen.
Erst im Lauf des Montags macht sich ein aus Westen aufrückender Bodenhochkeil allmählich bemerkbar. Wie stark er die Luft bereits abzutrocknen vermag und wie gross der Einfluss der Höhenkaltluft im Osten noch sein wird, bleibt abzuwarten. Vermutlich wird es in der östlichen Landeshälfte vor allem über den Bergen schaueranfällig bleiben, während es im Flachland und im Westen mit zügiger Bise bereits weitgehend trocken und zunehmend sonnig wird. Da die Modelle den Hochdruckeinfluss aber in den letzten Läufen verzögert haben, ist das letzte Wort diesbezüglich wohl noch nicht gesprochen…
Am Dienstag sollte der verbliebene Rest des Troges, der sich inzwischen zu einem eigenständigen Tief abgeschnürt hat, östlich genug zu liegen kommen um keinen Einfluss mehr auf die Schweiz ausüben zu können. Aus heutiger Sicht ist der Dienstag der stabilste Tag, allerdings ist der Höhenrücken zwischen dem Tief im Osten und einem sich neu bildenden Atlantiktrog recht schmal. Lassen wir uns überraschen, wie sich das auf den Mittwoch auswirkt:
Manche Modelle lassen das CutOff-Tief im Osten wieder etwas zurück nach Westen driften, womit die Schweiz von zwei Seiten in die Zange genommen wird. Die mancherorts herausgegebene Variante „trocken-heiss open End“ ist somit noch lange nicht in Stein gemeisselt. Doch auch wenn der Höhenkeil genau über uns hält, so ist aufgrund der starken Erwärmung am Mittwoch und Donnerstag über den Bergen mit lokalen, aber durchaus kräftigen Hitzegewittern zu rechnen.