„Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr gross.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.“
In keinem Jahr wie 2018 trifft das Gedicht von Rainer Maria Rilke wohl den Nagel besser auf den Kopf. Wenn man noch bedenkt, dass dieses Gedicht 1902 geschrieben wurde, also in einem Jahr, in dem der Sommer um 1 Grad kälter war als das Klimamittel 1961-90, so fragt man sich, welche Worte der gute Rilke wohl 2018 wählen würde. Die heutige Generation unter 30 weiss gar nicht mehr, wie sich ein solcher Sommer anfühlt: Der letzte vergleichbare „sehr grosse“ Sommer war 1987…
Nun: Vor einem Monat wurde an dieser Stelle geschrieben, dass alles ein Ende habe, ausser vielleicht der Sommer 2018. Nun ist es doch noch so weit. Die physikalischen Gesetze, welche dem sinkenden Sonnenstand folgen, können von keinem noch so grossen Sommer ausser Kraft gesetzt werden.
Die aktuelle Luftmassen- und Bodendruckanalyse (Titelbild) zeigt uns ein aus diesem Sommer wohlbekanntes Muster: Ein umfangreiches Tiefdrucksystem schaufelt auf seiner Vorderseite sehr warme Luft über Mittel- und Osteuropa weit in den Norden, stützt dort hohen Luftdruck und wird dadurch an seinem Weiterkommen nach Osten ausgebremst. Das könnte nun ewig so weitergehen, käme nicht endlich Unterstützung aus den Tropen: Das noch unscheinbare, aber sehr warme Randtief über dem Atlantik am linken Rand der Karte enthält Reste des ehemaligen Hurrikans FLORENCE und entwickelt sich entlang der inzwischen schon wieder markanten Temperaturdifferenzen des Nordatlantiks unter dem dort gesunden Jetstream prächtig. Die sich gegenseitig aufschaukelnden Energien in diesem System werden ausreichen, um dem Hoch über Osteuropa ordentlich den Marsch zu blasen – und uns den ersten Herbststurm zu bescheren. Eindrücklicher und nachhaltiger kann man einen Jahreszeitenwechsel nicht einläuten.
Den ersten Anlauf nimmt der Herbst allerdings bereits heute Freitagabend – wenn auch mit bescheidenem Erfolg:
Zwar findet mit der Kaltfront bodennah ein markanter Luftmassenwechsel statt. Da die Höhenkaltluft jedoch deutlich nördlich der Schweiz verbleibt, wird daraus hauptsächlich ein Windereignis. Die mit der Kaltfront verbundenen Regenmengen fallen aufgrund der hohen Zuggeschwindigkeit bescheiden aus, und auch Gewitter sind nur randlich ein Thema: Allenfalls reicht es vereinzelt in den Bergen der Südostschweiz, wo die Sonne noch am längsten einheizen kann, für den einen oder anderen Blitz in den Abendstunden. Mit der Winddrehung auf Nordwest an der Front tritt am Jurasüdfuss ein stürmischer Joran auf, auch an den Engstellen der Alpentäler und auf den Bergen kann es mitunter zu Sturmböen kommen. Ansonsten kommen die Windspitzen in den Niederungen verbreitet zwischen 50 und 70 km/h zu liegen. Die Abkühlung beschränkt sich auf die Alpennordseite, denn der Kaltluftkörper ist derart seicht, dass er es nicht mal über die Alpen schafft. Wer also vom Sommer immer noch nicht genug hat, ist am Samstag auf der Alpensüdseite gut aufgehoben. Im Norden zeigt sich der Samstag vergleichsweise (zu den letzten Tagen) kühl, aber nicht unfreundlich.
Am Sonntag muss erst mal der mächtige Wolkenschirm der Warmfront von ex-Florence über uns hinwegziehen:
Der nachfolgende Warmsektor mit gealterter Tropenluft hat es aber in sich: Noch mal steigen die Temperaturen verbreitet in den sommerlichen Bereich, unterstützt durch stetig auffrischenden Südwestwind, der auf den Bergen im Lauf des Tages bereits Sturmstärke erreicht. Trotz der recht sonnigen (mit hohen Wolkenfeldern) und warmen Aussichten ist der Sonntag somit nicht wirklich für Bergwanderungen geeignet. Stattdessen sollte man besser Vorkehrungen auf Balkon und Garten treffen und alles reinräumen, was nicht niet- und nagelfest ist. Denn ungefähr um Mitternacht trifft kurz vor der Kaltfront das Maximum des Sturmfelds ein:
Stärke und Zugbahn des Tiefs werden von GFS und EZ inzwischen recht einheitlich berechnet. Andere Modelle sehen das Tief etwas nördlicher, aber mit tieferem Kerndruck, wiederum andere südlicher, aber mit höherem Kerndruck – was sich schlussendlich in der Bilanz des Druckgradienten am Alpennordrand in etwa ausgleicht. Stärke und Zeitpunkt des Sturms sind somit relativ gut gesichert. Mit Sturmböen muss man im Flachland wohl vielerorts rechnen, vom Hochrhein bis zum Bodensee auch mit schweren Sturmböen (90-100 km/h), was an den noch voll belaubten wie auch an trockenheitsgestressten Bäumen (dürre Äste) einigen Schaden anrichten dürfte. Immerhin ist der Zeitpunkt mitten in der Nacht nicht so kritisch. Da diesem Blog auch eine treue Leserschaft aus Österreich folgt, noch dieser Hinweis: Das Tief verstärkt sich auf dem Weg nach Osten, hinzu kommt der Leitplankeneffekt der Alpen: Hier liegen durchaus orkanartige Böen in den frühen Morgenstunden des Montags (am Alpenostrand womöglich genau zum Berufsverkehr) drin.
Die Sache könnte sich nun rasch beruhigen, denn die Kaltfront mitsamt Regen zieht am Montag sehr schnell ab. Über Westeuropa baut sich aber ein kräftiges Hoch auf, während sich im Lee der Alpen ein neues Randtief bildet:
Stramme nordwestliche Höhenströmung und ein starker Druckgradient am Boden sorgen nun für einen Nordföhnsturm auf der Alpensüdseite und starke – mitunter am Genfersee und auf den Jurahöhen auch stürmische – Bise im Mittelland. Wie lange diese Situation anhält, hängt nun stark von der weiteren Positionierung des Hochdruckgebietes ab. Manche Modelle lassen es im Westen verharren, womit wir unter Umständen die ganze Woche mit starker Bise und ungewohnt kühlen Verhältnissen rechnen müssten. Es gibt aber auch die Variante mit allmählicher Ostverlagerung, sich von Tag zu Tag abschwächender Bise und Altweibersommer ab der Wochenmitte.