Derzeit wird uns eindrücklich vor Augen geführt, weshalb Herbstferien am Mittelmeer nur etwas für Freunde des gepflegten Sauwetters sein kann. Bekanntlich reagiert Wasser auf Temperaturänderungen weitaus träger als Luft, entsprechend bleibt das Mittelmeer nach dem Sommer noch lange warm – bis weit in den Herbst hinein. Die ersten Kaltuftausbrüche aus der sich rasch abkühlenden Polarregion treffen somit in den Herbstmonaten auf sehr warme Luftmassen im Süden, entsprechend heftig sind die begleitenden Wettererscheinungen in dieser Region. Stimmt die Konstellation mit direkter Verfrachtung dieses Giftcocktails in der Atmosphäre in Richtung Alpen, sind die Zutaten für Extremwetter auch hier gegeben. Nicht zufällig fanden die grossen Unwetter der Vergangenheit in den südlichen Alpen häufig im Herbst statt. Aktuell sind sämtliche Zutaten für eine gefährliche Lage gegeben: Sehr hohe Wassertemperaturen im Mittelmeer, Kaltluftvorstoss über die Iberische Halbinsel ins westliche Mittelmeer, starke Südströmung direkt auf die Alpen gerichtet. Den ersten Feuchteschub vom Wochenende haben die vom langen, trockenen Sommer ausgemergelten Böden und Gewässer noch gut schlucken können, doch mit jeder neuen Welle steigt die Gefahr von Hochwasser, Hangrutschungen und Murgängen.
Die Analyse der grossen Druckgebiete und Strömungen in rund 5500 m Höhe im Titelbild zeigt eine klassische Grosswetterlage „Trog Westeuropa“ (TrW), dem Grosswettertyp Süd zugehörig. Diese völlig blockierte Situation mit kräftigem Hoch über Osteuropa, das durch die Warmluftzufuhr aus Süden weiter gestützt wird, kennen wir ja aus diesem Jahr zur Genüge. Westlich von Island ist bereits der nächste Trogvorstoss zu erkennen, der uns in der zweiten Wochenhälfte beschäftigen wird. Klickt man sich z.B. bei GFS durch die nächsten zwei Wochen, so sieht man, dass sich diese Lage immer und immer wieder regeneriert, auf TrW folgt TrW folgt TrW ohne Ende, die ruhigen Phasen mit Zwischenhocheinfluss oder etwas Westwind sind jeweils nur von sehr kurzer Dauer.
Wenden wir uns der aktuellen Entwicklung zu, wobei erst mal der Zutatenmix genauer angeschaut werden muss:
Die Karte mit den durchschnittlichen Wassertemperturen der letzten 7 Tage verdeutlicht die eingangs erwähnte Wärme im Mittelmeer. Der Kaltluftvorstoss, der aktuell zum westlichen Mittelmeer gerichtet ist, bringt rund -30 Grad in 500 hPa, etwa 0 Grad in 850 hPa, was bereits sehr labile Bedingungen für die Bildung heftiger Gewitter in sich birgt. Nun zieht diese explosive Mischung auch noch über ein Gebiet mit Wassertemperaturen um 24 bis 26 Grad – und wir sprechen hier nicht etwa über die Fläche des Bodensees. Aufgrund des blockierenden Hochs im Osten kommt der Trog nicht weiter nach Osten voran, die Strömung vollführt über den Balearen eine Spitzkehre und zieht zurück Richtung Norden – genau über die Alpen hinweg. Grosse Temperaturunterschiede sind der Hauptantrieb für die Bildung von Tiefdruckgebieten, was genau jetzt am Montag zwischen den Balearen und Sizilien geschieht. Im Lauf des Dienstags zieht dieses Tief mit Kerndruck von etwa 980 hPa genau über die Alpen hinweg nach Norden:
Die Luftmassenanalyse zeigt eindrücklich den Warmluftsektor des Tiefs mit sehr energiereicher Luft (feucht und warm), was die Schneefallgrenze auf etwa 3000 m ansteigen lässt. Zum Glück zieht das Tief rasch, sodass bereits nach etwa 12 Stunden die herumgeholte kühlere Luftmasse nachfolgt und die Schneefallgrenze wieder auf etwa 1500 m sinken lässt. Trotzdem sind diese 12 Stunden von heute Montagmittag bis etwa Mitternacht ausreichend, um sehr hohe Niederschlagsintensitäten auf der Alpensüdseite und am Alpenhauptkamm zu produzieren. Aktuell sieht man einen Gewitterkomplex mit sehr hohen Blitzraten die ligurische Küste entlang nach Norden ziehen. Auch wenn sich die Gewitteraktivität über der Poebene abschwächen wird, der Anteil an konvektiv verstärktem Regen wird auch an den Alpen noch hoch genug sein. Egal, welches höher aufgelöste Modell man zu Rate zieht: Am Alpenhauptkamm wird einhellig eine 36-stündige Niederschlagssumme von 250-300 mm gerechnet, örtlich sogar mehr. Was besonders Besorgnis erregend ist: Auch die inneralpinen Gebiete wie das Goms, die Gotthardregion, die Surselva und weitere Teile Graubündens sollen noch rund 150 mm Regen erhalten. Dies ist besonders heikel, weil es in diesen Regionen am Wochenende weit herunter geschneit hat und dieser gespeicherte Wasseranteil nun mit der hohen Schneefallgrenze mit runter gespült wird. Man darf aus den Erfahrungen der Vergangenheit mit Recht fragen, ob die Abflussmodelle diese spezielle Situation im Griff haben.
Ein zusätzlicher Schneefresser ist der Wind: Der Südwind wird mit bis über 3000 m ansteigender Nullgradgrenze im Hochgebirge Orkanstärke erreichen. In den klassischen oberen Föhntälern ist ebenfalls mit orkanartigen Böen zu rechnen. Allerdings ist nicht ganz klar, wie weit der Föhnsturm in die Täler vorstossen kann. Einerseits bremst der über den Alpenhauptkamm hinaus schiessende Niederschlag, andererseits die in den Niederungen lagernde Kaltluft. Je nach Modell ist in der Nacht ein Föhnstoss bis an den Zürich- und Zugersee und bis in die Bodenseeregion möglich – oder auch nicht. Die geschilderte Konstellation sowie die Tatsache, dass das Föhnmaximum in der Nacht erreicht wird, spricht eher dagegen.
Am Dienstagmorgen hat das Tief bereits eine Gegend erreicht, die für klassische Südweststurmlagen bekannt ist:
Mit dem rasch nach Norden ziehenden Tief nimmt der Druckgradient über die Alpen und somit der Föhn rasch ab, was im Lauf des Dienstags eine vorübergehende Entspannung in Sachen Niederschlag in den Südstaulagen bringt. Stattdessen zieht nun der Südwestwind auf der Alpennordseite an und erreicht auf den Jurahöhen Sturmstärke mit Spitzenböen von 100 km/h, auf dem Chasseral wahrscheinlich auch deutlich mehr. Wiederum uneinig sind sich die Modelle bei den Auswirkungen aufs Mittelland und die Nordwestschweiz: In den höheren und exponierten Lagen ist wohl verbreitet mit Böen von 60-75 km/h zu rechnen. Auch hier ist der Unsicherheitsfaktor jener, wie effektiv die bodennahe Kaltluft ausgeräumt wird. In der Westschweiz ist die Sturmgefahr mit Böen von etwa 80 km/h auch im Flachland höher als im Osten, vorsichtshalber sollte man aber auch in der Deutschschweiz alles festbinden oder in Sicherheit bringen, was nicht niet- und nagelfest ist.
Mit dem Abzug des Tiefs nach Norden stellt sich am Dienstagabend vorübergehend eine ruhige Phase ein, bevor der nächste vorstossende Trog über Westeuropa die Südströmung wieder ankurbelt und am Mittwoch den nächsten Föhnsturm (diesmal gemässigter) in den Alpen bringt. Etwa am Mittwoch um die Mittagszeit beginnt es auf der Alpensüdseite wieder zu regnen – zuerst noch leicht, in der Nacht zum Donnerstag dann wieder zunehmend intensiv. Diesmal liegt die Hauptstossrichtung sehr energiereicher Luft weiter östlich:
Bei einer Schneefallgrenze von 1500-2000 m vom Südwallis übers Tessin bis ins südliche Graubünden sind allerdings die erneut berechneten 100-150 mm von Mittwochmittag bis Freitagmorgen angesichts der Vorgeschichte kritisch genug.
Und es wurde einleitend bereits erwähnt: Die Grosswetterlage nimmt so schnell kein Ende, bereits ab Sonntag ist die nächste Welle in Sicht (Gitterpunkt Monte Rosa):
Naturgemäss ist die Streuung in Wochenfrist im Detail noch gross, doch im Groben scheint die Lage recht sicher von den Globalmodellen erfasst zu sein. Da wartet also noch einiges Ungemach auf die Alpensüdseite und im Norden dürfte noch der eine oder andere Föhnsturm anstehen.
Besten Dank für den sehr lehrreichen Blog, hoffen wir das es nicht ganz so schlimm kommt .