Besser spät als nie, dafür richtig! So das Motto zur Eröffnung der neuen Gewittervorschau-Saison. Schwachstromgewitter hatten wir in den meist energiearmen Luftmassen mit Höhenkaltluft zwar bereits einige in den vergangenen Wochen, doch sommerliche Gewitter mit Potenzial für gröbere Unwetter liessen noch auf sich warten. Mit dem Beginn des meteorologischen Sommers wird es also höchste Zeit, sich die Sache mal etwas genauer anzuschauen: Kaum merklich, aber stetig haben sich die für den Frühling typischen Kaltluftausbrüche nach Westen verschoben. Haben sie im Mai noch den Alpenraum heimgesucht, rauschen sie nun über dem Ostatlantik in Richtung Westeuropa und Iberische Halbinsel. Östlich davon wird aus südlichen Richtungen sehr warme und zeitweise feuchte Luft nach Mitteleuropa geführt. An der Luftmassengrenze kommt es dabei immer wieder zu heftigen Entwicklungen. Die Herausforderung besteht nun darin, die genaue Lage der Fronten und Konvergenzen Tag für Tag zu bestimmen.
Die einleitende Beschreibung der Grosswetterlage hier noch mal in Kartenform mit der Windströmung in rund 5500 m Höhe:
Die Austrogung über dem Ostatlantik ist in Entwicklung begriffen, sie wird sich in den kommenden Tagen noch vertiefen. Interessant für die Schweiz ist am Montag und Dienstag die Position genau unter einem Höhenkeil zwischen dem neuen Atlantiktrog und einem alten Mittelmeertief. Alles, was aus Westen hereinzieht, läuft also ins hohe Geopotenzial mit trockener Höhenluft und wird ausgebremst. Wir mögen solche Konstellationen überhaupt nicht, denn sie verunmöglichen eine genaue Gewitterprognose – wer Gegenteiliges behauptet, pokert heute hoch 😉
Noch am Sonntagabend waren sich die beiden derzeit führenden, hochaufgelösten Modelle einig: Die Kaltfront produziert über Ostfrankreich am Montag einen Kaltluftpool, der kurz nach Mittag seicht über den Jura schwappt und am Jurasüdfuss einen stürmischen Joran produziert – Gewitterauslöse über dem Jura ist in solchen Fällen eher mau. Der Nordwestwind trifft am frühen Abend an den Voralpen auf ein reichliches Feuchteangebot am Boden und wird zum Aufsteigen gezwungen, entsprechend sollten dort die heftigsten Gewitter entstehen. Logisch!, denkt sich die erfahrene Meteorologin und gibt die entsprechend Prognose aus. Am Montagmorgen sehen die Modelle zwar die ganze Entwicklung um ein paar Stunden verzögert, aber die grobe Fahrtrichtung bleibt dieselbe:
Die Prognose für Montagabend sieht die kühlere Luftmasse (helleres Gelb) über der Nordwestschweiz, die energiereiche Luftmasse (orange) über den Alpen und der Ostschweiz mit einer relativ gut ausgeprägten Luftmassengrenze quer durchs Mittelland. Das aktuelle Radarbild mit einer kaum nach Osten vorankommenden Gewitterfront (sie hat um 11:00 noch nicht mal das Burgund erreicht) lässt aber erahnen: Das wird nichts mit dem überschwappenden Kaltluftpool am Nachmittag. Und wahrscheinlich basteln die Modelle gerade an einem neuen Szenario, während diese Zeilen hier geschrieben werden…
Vermutlich wird die ganze Sache derartig verzögert, dass die Gewitterauslöse am Nachmittag erst mal über dem Jura losgeht, Zugrichtung Nordost lässt die heftigsten Zellen in der Nordschweiz erwarten. Es gibt allerdings ein Problem: Die Labilität ist gar nicht mal so ausgeprägt, es fehlt schlicht die Höhenkaltluft (-14 Grad in 500 hPa, +14 bis 15 in 850 hPa). Das reicht zwar für ordentliche Gewitter, die ganz dicken Dinger bleiben aber wahrscheinlich aus. Und über den Alpen besteht das bereits oben erwähnte Problem des Höhenkeils: Der aktuelle Taupunkt von immer noch -18 Grad auf dem Jungfraujoch wird den Zellen beim Wachstum zu schaffen machen. Hungertürme wie im Titelbild abgebildet sind wahrscheinlich. Einzelne, durch punktuell optimale Hebung getriggerte Zellen können sehr schnell in die Höhe wachsen, werden aber wahrscheinlich nicht lange überleben. Die von Cosmo gezeigte Clusterbildung den Voralpen entlang darf man also zumindest in Frage stellen, aber Überraschungen durch gewisse Eigendynamiken sollte man trotzdem nie ausschliessen. Es gilt also: Adlerauge, sei wachsam! Auch in Zeiten immer besser aufgelöster Modelle bleibt das Beobachten des Himmels (Neudeutsch Nowcasting genannt) ein probates Mittel.
Am Dienstag bleibt das Problem an sich dasselbe. Allerdings vertieft sich der oben erwähnte Westeuropa-Trog und die Strömung dreht noch mehr auf Süd. Noch wärmere, zum Ausgleich aber auch trockenere Luftmassen erreichen den Alpenraum, möglicherweise auch durch das Rhonetal das Mittelland, und es kommt leichter Föhn ins Spiel. Starke Sonneneinstrahlung, sehr warme Luft, ein ausreichendes Feuchteangebot am Boden durch die starken Niederschläge der letzten Woche und starke Schneeschmelze einerseits treffen auf einen starken Deckel (trockene Luft und Inversionen in der Höhe) andererseits. Es wird also wohl nur punktuell auslösen, aber dort wo es gelingt, kann es heftig werden. Schon wieder viel Konjunktiv…
Und dann der Mittwoch. Nach aktuellem Modellstand müsste sich aus Westen die nächste Kaltfront nähern:
Der Kontrast lässt es erahnen: Die vorderseitige Luftmasse ist sehr energiereich und es bildet sich ein Hitzetief aus, das am Boden für zusätzliche Konvergenzen sorgen kann. Höhenkaltluft ist zwar immer noch keine da, aber unten ist die Luft 4-5 Grad wärmer als am Montag. Zudem zeigt die Erfahrung, dass solche Konstellationen mit steiler Front im Westen und Südströmung in der Höhe in der Grosswetterlage „Trog Westeuropa“ in der Vegangenheit die heftigsten Hagelereignisse gebracht haben (Beispiel 05.07.1999). Das Potenzial ist also vorhanden – fragt sich nur, ob es auch abgerufen wird. Jedenfalls muss man den Mittwoch ganz genau im Auge behalten.
Und wenn das alles planmässig abläuft, liegen wir am Donnerstag bereits in der rückseitigen Kaltluft. Allenfalls können sich noch Warmluft-Reste in Graubünden halten und für das eine oder andere Gewitter sorgen, auf der Alpensüdseite sowieso. Freitag wäre dann der klassische Zwischenhoch-Tag mit viel Sonnenschein und gemässigten Temperaturen, bevor sich möglicherweise auf das Pfingstwochenende der Trog über Westeuropa erneut vertieft und das Spiel von vorne losgehen kann. Das allerdings schauen wir uns dann besser zeitnah an.
Wie immer sehr Verständlich und Aussagekräftig. Danke für den Service.
So toll wie die Gewittervorschau müssten jetzt noch die Gewitter sein.
Dann wär’s perfekt.
Kann crosley nur beipflichten; vielen, vielen Dank für den Service!
Grüsse – Microwave