Nicht selten erreicht eine frühsommerlich schwüle Luftmasse Mitteleuropa um den Monatswechsel Mai/Juni und läutet damit die Hauptsaison der Gewitteraktivität ein. So auch in diesem Jahr. Die einleitende Grosswetterlage ist aus Sicht der Alpenländer Südwest antizykonal, auch wenn der DWD das völlig anders sieht und als Hauptakteur ein Hoch Nordmeer-Fennoskandien ausmachen will (zum Grosswettertyp Ost zugehörig), das jedoch auf uns und auch auf die südliche Hälfte Deutschlands keinerlei Einfluss hat. Wie auch immer: Seit Donnerstag fliesst mit südwestlicher Strömung allmählich wärmere und ab Freitagnacht auch feuchtere Luft nach Mitteleuropa, es wird also schon mal potenzielle Energie herangeführt. Ab Sonntag kommt dann aus Westen allmählich auch noch der Einfluss eines Höhentroges hinzu, der sich abschnürt und in der ersten Wochenhälfte als eigenständiges Höhentief bzw. Kaltlufttropfen Westeuropa unsicher macht. Entgegen früherer Berechnungen soll dieses Tief nicht mehr weiter östlich als bis zu unserer Westgrenze vorankommen, womit hoffentlich der Kelch eines neuerlichen Hochwassers an uns vorbeigehen möge…
Die Europakarte mit dem Strömungsmuster in rund 5500 m Höhe zeigt uns einen schönen Höhenrücken mit antizyklonal (im Uhrzeigersinn) gekrümmter Strömung über den Alpen:
Dieser Höhenrücken sorgt vorerst noch für Absinken über den Alpen und hält uns den Tiefdruckkomplex über dem nahen Atlantik vom Hals, sodass der Freitag in den meisten Gebieten sonnig, sommerlich warm und trocken zu Ende geht. Die Sonneneinstrahlung ist derzeit dank nur spärlicher Cirren stärker als erwartet, was mit orographischer Unterstützung vielleicht doch hier und da gegen Abend für die Auslöse einzelner Gewitterzellen ausreicht. Man wird mit Spannung die einzelnen Quellwolkentürme beobachten können, ob sie sich in mittleren Höhen ausbreiten, austrocknen oder ob ihnen der Durchbruch gelingt. Das Mittags-Sounding von Payerne zeigt immer noch einen recht trockenen Bereich zwischen 4000 und 8000 m Höhe, doch dürfte diese Schicht im Lauf des Nachmittags aus Westen weiter angefeuchtet werden. Das GFS-Szenario mit verbreiteter Auslöse ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf etwa 2 Grad zu hoch eingeschätzten Taupunkten sowie zu schwach berechneter Deckelung zurückzuführen, kann also gleich wieder vergessen werden. Nach Sonnenuntergang ist die Entwicklung neuer Zellen in der unmittelbaren Umgebung der Schweiz unwahrscheinlich, doch es gilt den Blick nach Westen zu richten:
Die Situation in wenig über 3000 m Höhe zeigt uns in der Nacht einen kleinen Trog über Zentralfrankreich, der sich in der südwestlichen Höhenströmung allmählich auf den Jura zubewegt. In diesen Trog eingebettet ist ein Gewittercluster, der seinen Ursprung am Freitagabend über Südwestfrankreich hat:
Dieser Cluster legt in der zweiten Nachthälfte den Weg bis zum Jura zurück und vereint sich mit einer weiteren Zelle aus Zentralfrankreich. Fragt sich nun, wie aktiv dieser Cluster in den frühen Morgenstunden am Samstag noch sein wird, wenn er dem Jura entlang zieht. Bei den Modellen meines Vertrauens liegt das Verhältnis 3:1, dass er noch Niederschlag bringt. Eines lässt ihn voll im Saft durchziehen, ein anderes will ihn in abgeschwächter Form nur noch etwas regnen lassen und als Krönung meint COSMO1, dass er sogar Neubildungen über dem Jura und dem Mittelland auslöst. Möglicherweise also nichts mit ausschlafen am Samstagmorgen…
Der Zustand zu Tagesbeginn ist für die weitere Entwicklung im Tagesverlauf entscheidend. Ziehen am Vormittag noch Niederschlage und dichte Wolken dieses Clusters durch, wird die Troposphäre etliche Stunden benötigen, um sich davon zu erholen. Sprich Himmel freiputzen, Sonneneinstrahlung ermöglichen, Boden aufheizen, Thermik in Gang setzen. In diesem Fall wird es bis zu neuen Entwicklungen wahrscheinlich bis in die Abendstunden dauern. Je früher die Sonne sich durchsetzt, umso schneller können sich neue Zellen bilden. Es ist also durchaus möglich, dass es in den Alpen und Voralpen am späten Nachmittag erste Zellen gibt. Wie zahlreich diese sein werden, ist wiederum vom Deckel abhängig, doch dieser ist aufgrund des langsam nach Osten verlagernden Höhenrückens nicht mehr so stabil wie noch am Freitag. Gehen wir vom etwas unwahrscheinlicheren Szenario aus, dass da am Morgen gar nichts ist, muss bereits am Mittag mit Auslöse im Jura gerechnet werden. Zu welchem Zeitpunkt auch immer es auslöst: Die südwestliche Höhenströmung nimmt im Tagesverlauf zu, während es am Boden schwachwindig bleibt. Das sind gute Voraussetzungen für heftige, langlebige Entwicklungen mit mittelgrossem Hagel und Sturmböen entlang der klassischen Jura- und Voralpenschiene. Eine schwache Südströmung über die Alpen sorgt zwar für föhnige Tendenzen, ist aber nicht in der Lage, die Luft in den Niederungen grossräumig auszutrocknen, ist also diesmal eher förderlich als hemmend einzustufen.
Die Gewitteraktivität kann durchaus die ganze Nacht hindurch dauern, je nachdem was aus Frankreich noch nachgeliefert wird. In diesem Punkt laufen die Modelle völlig auseinander, kein Wunder bei bereits für Samstagmorgen widersprüchlichen Rechnungen. Mit dem sinkenden Luftdruck nördlich der Alpen kann am Sonntagvormittag der Föhn etwas erstarken und möglicherweise der Ostschweiz einen sonnigen Start bescheren, allerdings besteht auch die Gefahr, dass Gewittercluster aus dem Tessin über den Alpenhauptkamm nach Nordosten übergreifen. Jedenfalls ist die Luftmasse am Sonntag immer noch energiegeladen, auch wenn die Sonneneinstrahlung wahrscheinlich stark gedämpft sein wird (Waschküchenwetter):
Man sieht es der komplexen Verteilung von energiehaltiger (orange) und etwas energieärmerer (gelb-grün) Luft an, dass eine genaue Prognose für den Sonntag kaum möglich ist. Die gelben und grünen Flecken über der Schweiz und Bayern sind wahrscheinlich mehr Wirkung als Ursache, kühlt doch die Luft unter Gewittern aus bzw. verlagert sich die Energie mit dem Regen aus der Atmosphäre auf den Boden (die Flusskraftwerkbetreiber wird’s freuen). Es ist also völlig sinnlos, die Prognose eines zeitlichen und räumlichen Ablaufs erraten zu wollen. Die Gefahr geht bei schwachen, oft völlig chaotischen Windverhältnissen in mittleren Höhen von langsam ziehenden Zellen mit intensiven Niederschlägen aus, die aber kaum mehr als kleinkörnigen Hagel enthalten.
Durch die Verlagerung des Bodentiefs nach Norden am Montag wird mit kräftig auffrischendem Westwind kühlere Luft zur Alpennordseite geführt. Da sich das Höhentief aber nach derzeitigem Stand nur langsam annähern soll, wird die Atmosphäre vorübergehend etwas stabilisiert, die Gewittergefahr geht deutlich zurück. Kräftigere, teils gewittrig durchsetzte Niederschläge sind am ehesten noch in den Ostalpen und auf der Alpensüdseite zu erwarten, wo die bodennahe Warmluft nicht ausgeräumt wird.
Entscheidend für die Entwicklung am Dienstag und Mittwoch wird nun sein, ob sich das Höhentief tatsächlich über Frankreich einbremst und wir auf dessen Vorderseite verbleiben. Die GFS-Prognose zeigt den Zeitpunkt der grössten Annäherung des Höhentiefs am Dienstagmittag:
Beim unbeständigen Wettercharakter mit gemässigten Temperaturen bleibt es auf alle Fälle, Schauer und Gewitter (eher schwächeren Typs) sind jederzeit möglich. Nach den aktuellen Unterlagen soll das erstarkende, durch sämtliche Schichten greifende Hoch über dem Nordmeer die Regie übernehmen und den verbleibenden Kaltlufttropfen von Frankreich allmählich zurück auf den Atlantik schubsen. In der Folge stellt sich über Mitteleuropa eine schwachgradientige Lage mit geringen Luftbewegungen ein. Bei sich allmählich durch den hohen Sonnenstand erwärmenden Luftmasse bleibt es bei Tagesgangwetter, wobei das Gewitterpotenzial zum Ende der Woche wieder zunehmen dürfte.