Manchmal kann man Sprüche auch umdrehen. Diesmal heisst es: Die Suppe wird nicht so kalt gegessen, wie sie gelagert wurde. Was vor wenigen Tagen noch nach einem markanten Kaltlufteinbruch für Anfang August aussah, entuppt sich im Verlauf der Modellentwicklungen zunehmend als Eintagsfliege. Zu verdanken haben wir die unsicheren Mittelfristaussichten mal wieder dem Jetstream, der eine Stippvisite nach Süden versucht. Im Groben entspricht die Grosswetterlage dem Typ West zyklonal, was aufgrund der starken Westwindströmung über Mitteleuropa sehr lebhaftes und wechselhaftes Wetter verspricht. Mit der manchmal überraschenden Entwicklung in den eingelagerten Trögen können die Modelle gelegentlich arge Nöte bekunden. Daher sei vorausgeschickt, dass alles was in den nächsten Zeilen geschrieben wird, bereits einen Tag später wieder Makulatur sein kann. Auf Details wird daher nach Montag sinnvollerweise gleich verzichtet – es soll beim Versuch bleiben, einen groben Ablauf zu skizzieren.
Die erste Überraschung steht bereits vor den Toren Genfs und zieht am frühen Nachmittag mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von etwa 60 km/h über die Schweiz hinweg. Das Gewittersystem kann sich auf dem Weg über die Alpen durchaus abschwächen, doch darauf verlassen sollte man sich nicht. Viele Berggänger dürften daher heute Nachmittag überrascht werden, heisst es doch den ganzen Vormittag noch in den einschlägigen Wetterberichten, dass erst „gegen Abend“ mit ersten vereinzelten Regengüssen gerechnet werden muss. Ich habe da meine Zweifel…
In den Modellen sucht man meist vergeblich nach den Anzeichen für diese Störung. Fündig wird man in über 9000 m Höhe, wo in obiger Karte über Zentralfrankreich ein kleines unscheinbares Pluszeichen darauf hindeutet, dass in der Höhe die Winde auseinanderdriften. Das erzeugt in den unteren Luftschichten Hebung, und schon ist der Prozess der Clusterbildung in Gange. Dieses kleine Plus verstärkt sich übrigens in den nächsten Stunden markant und kommt von Mitternacht bis weit in den Sonntag hinein direkt über der Schweiz zu liegen.
Besonders tückisch am heutigen Fall ist die scheinbare Trockenheit in den unteren Luftschichten, was eine gute Fernsicht ermöglicht. Begünstigt wird dies durch zügigen Westwind, der am Vormittag jegliche Feuchtenester ausgeräumt hat. Der erfahrene Berggänger wird damit gehörig hinters Licht geführt. Dass in höheren Schichten bereits etwas im Gange ist, haben die mittelhohen Wolkenfelder heute Morgen verraten. Altocumulusfelder, zumal wenn sie Türmchen aufweisen, sind zuverlässige Gewittervorboten. Allerdings waren diese nur über dem Mittelland, im Wallis und im Tessin zu sehen, nicht aber über den Nordalpen und in Graubünden. Die für die Gewitterbildung notwendige Feuchte wird mit dem System von Frankreich her zugeführt, und das aussergewöhnlich rasch. Wie schon in der Einleitung erwähnt, weist der Wind in 3000 bis 5000 m Höhe rund 60 km/h auf. Nur wer freie Sicht nach Westen hat, wird die Wolken früh genug aufziehen sehen.
Da die Modelle diese Störung gar nicht oder weiter südlich in ihren Rechnungen drin haben, bewegen sich heute alle Meteorologen quasi im Blindflug. Wer auf die Modelle vertraut, wird genau so überrascht wie der ahnungslose Berggänger, wenn er nicht nach Westen schaut. Über die weitere Entwicklung kann daher einzig gemutmasst werden. Alternativ sind die 6z-Läufe abzuwarten in der Hoffnung, dass die Modelle zu diesem Zeitpunkt das System endlich richtig erfasst haben.
Bereits kurz nach Mittag erfassen die Gewitter aus Westen die westlichen Alpen und das Wallis. Wie weit Entwicklungen nach Norden hin aktiviert werden, ist fraglich. Ebenso, wie aktiv das System auf dem Weg nach Osten bleiben wird. Noch spannender wird die Frage, was dahinter passiert. Die Luft hinter der Störung sieht im aktuellen Satellitenbild relativ trocken aus, es hat jedoch erste Ansätze neuer konvektiver Entwicklungen drin. Was also am Samstagabend in der Schweiz passieren wird, ist nach derzeitigem Stand völlig offen. Stimmen die Karten für die höheren Schichten, muss mit einem heftigen, sehr kurzfristig verlaufenden Antrieb gerechnet werden. Unwetterartige Gewitter können sich extrem rasch bilden, die Vorwarnzeit ist nicht nur deshalb, sondern auch wegen der sehr hohen Zuggeschwindigkeit extrem kurz. Mit Hagel, schweren Sturmböen und möglicherweise sogar Tornados muss bei diesem Setting gerechnet werden. Die Feuchtigkeit nimmt am Abend ebenfalls rasch zu (auf dem Satellitenbild als Schichtbewölkung über Frankreich zu erkennen, die sich im Tagesverlauf in mittlere Luftschichten umlagern wird), sodass das niederschlagbare Wasser ebenfalls hohe Werte erreicht. Dank der hohen Zuggeschwindigkeit verbleiben extreme Wolkenbrüche aber nie lange über demselben Gebiet.
Am Sonntag erreicht die Kaltfront von Westen her die Schweiz und schiebt an seiner Stirn die im Mittelland lagernde Luftmasse gegen den Alpennordhang. Der Querschnitt von Nordwest nach Südost soll das verdeutlichen:
Zu sehen ist hier, dass die Luftmasse in zwei Schritten kühler wird. Die zweite Kaltfront über den Ardennen wird die Schweiz allerdings nicht erreichen, bzw. wird durch Zwischenhocheinfluss weitgehend aufgelöst. Für uns bedeutet dies, dass die Gewitteraktivität im Lauf des Sonntags zu den Alpen verlagert wird. Rückseitig kann sich gegen Abend in der Nordwestschweiz und am Jurasüdfuss sogar wieder die Sonne zeigen. Der Luftdruck ist der Schweiz gut gesinnt und steigt rasch, sodass der 1. August mittlerweile viel besser aussieht als ursprünglich befürchtet. Unter Zwischenhocheinfluss dürfte es weitgehend trocken bleiben.
Eventuell halten sich inneralpin und im Süden noch ein paar schwül-warme Feuchtenester, die mal ein lokales Gewitter auslösen können. Viele Indizien sprechen allerdings eher dagegen.
Am Dienstag lässt der Zwischenhocheinfluss nach und die noch weiter nördlich lagernde kühle Luft kann mit einer Trogverschärfung bis zu den Alpen ausbrechen:
Am Dienstag ist also noch mal mit konvektiven Umlagerungen zu rechnen. Je nach tagszeitlichem Timing kann es dabei durchaus noch mal zu kräftigen Entwicklungen kommen, nach Osten hin eher als im Westen, wo der Hochdruckkeil besser wirkt. Zu sehen ist auch der breite Warmsektor des nächsten Tiefs, der am Mittwoch und Donnerstag über uns zu liegen kommt. Hier wird es ganz fest vom Verhalten des Hochdruckkeils abhängen, wie stabil diese beiden Tage bei uns verlaufen. Nach derzeitigem Stand ist mit neuen Gewittern ab Donnerstagnachmittag zu rechnen.