Die Prognosen für den Montag, 20. August waren durchs Band weg relativ einfach gehalten: Sonnig und bis 35 Grad heiss, am Abend in den Bergen lokale Gewitter. Die Modellkarten zeigten eine schwache Kaltfront über Frankreich, welche am Abend den Jura und den Norden der Schweiz streifen sollte – diese Gewitter waren erst für die Nacht geplant. Die Zellen in den Alpen sollten aufgrund der schwachen Höhenströmung recht stationär bleiben und zwar lokal grosse Regenmengen bringen, eine Verlagerung nach Nordosten war aber nur andeutungsweise zu sehen. Wie alle feststellen konnten, ist es dann anders gekommen. Hier ein Versuch, den Ursachen dafür auf den Grund zu gehen.
Der folgende Radarfilm soll einen ersten Überblick über den Ablauf verschaffen. Bereits hier wird klar, wie rasch das System eine Eigendynamik entwickelte und eine Folge von Kettenreaktionen auslöste, die in den Prognosen so nicht vorhersehbar war. Bereits beim Start des Filmes um 14:00 MESZ ist ein Gewittersystem über dem Burgund zu sehen: Es handelt sich dabei um die angekündigte Kaltfront – allerdings bereits viel näher bzw. zeitlich früher dran als die Modelle berechnet hatten.
Um 14:00 Uhr erreicht bereits der Outflow der Kaltfrontgewitter die Gebiete westlich des Jurahauptkamms. In La Chaux-de-Fonds setzt zu dieser Zeit mit auffrischendem Nordwestwind eine spürbare Abkühlung ein, die Temperatur sinkt von 29 auf 24 Grad. Um 16:00 Uhr schwappt die Kaltluft über den Jurahauptkamm und stürzt als Fallwind (Joran) auf die Jurarandseen. In Cressier NE werden Spitzenböen von 79 km/h erreicht. Zu dieser Zeit präsentiert sich die Lage folgendermassen:
Rot sind die warmen Talwinde dargestellt, welche den Antrieb für die Zellbildung in den Alpen bilden (Inflow), dunkelblau der Outflow bereits bestehender Gewitter, hellblau die von Westen anrückende Höhenströmung, welche die Kaltfront antreibt. Die Zellen im Wallis und im Berner Oberland sind über den Gipfeln des Hochgebirges entstanden – eine für diese Jahreszeit bei grosser Hitze übliche Quelle für Einzelzellen. Gespiesen werden sie durch die Feuchtigkeit von Schmelzwasser aufgrund einer Nullgradgrenze weit oberhalb von 4000 m. Die an den Kämmen konvergierende Thermik reisst das Feuchteangebot mit nach oben – aufgrund des sehr hohen Kondensationsniveaus sind allfällige tiefer liegende Inversionen bereits überwunden, der Bildung von Gewittertürmen stellt sich somit nichts mehr in den Weg. Bis zu diesem Zeitpunkt kann von einer perfekten Prognose gesprochen werden.
Das nächste Bild von 17:30 Uhr zeigt, dass der Outflow der Kaltfrontgewitter bereits das gesamte westliche Mittelland geflutet hat und nun in die Täler des Berner Oberlands eindringt. Dadurch wird dort die Hebung und Bildung neuer Zellen beschleunigt. Diese beginnen zu verclustern, ziehen aber nach wie vor sehr langsam und bringen daher lokal länger anhaltenden Starkregen. Weiter östlich setzt sich die Bildung von Einzelzellen über dem Alpenhauptkamm fort, und in der Nordschweiz breitet sich ein Outflow von den Zellen über den Vogesen und dem Schwarzwald entlang des Hochrheins und über den östlichen Jura in Richtung zentrales und östliches Mittelland aus. Dieser Ast des Outflows bewirkt die rasche Entwicklung einer starken Zelle im Napfgebiet.
Um 20:00 Uhr hat die inzwischen abgeschwächte Kaltfront den Jura erreicht. Ihr Outflow lässt zwar nach, ist aber immer noch spürbar. Im östlichen Mittelland stösst er nun bis zu den Voralpen vor, wo er auf den Outflow aus den Hochalpen trifft. In einer Linie vom Napf über Luzern und Schwyz bis ins Zürcher Oberland sind neue Zellen entstanden. Sie bringen heftigen Regen und vor allem kräftige Böen – so z.B. 80 km/h in Wädenswil. Die Verclusterung ist nun perfekt, das System wächst zu einem MCS heran, der sich angetrieben durch den Outflow aus den Alpen in Richtung Nordosten in Bewegung setzt. Durch die neu entstandene Konvergenzzone der beiden Outflows baut das System nun laufend an seinem Nordrand an. Zusätzlich trifft der Outflow aus dem Berner Oberland und von der Napf-Zelle auf die Kaltfront und löst im Berner Seeland die Neubildung von Zellen aus. Diese finden jedoch am Boden keine Nahrung mehr, auch von der untergehenden Sonne ist kein Energienachschub mehr zu erwarten und sobald der Outflow nachlässt, sterben auch die zunächst gesund aussehenden Neubildungen (siehe Titelbild).
Das letzte Radarbild von 22:30 Uhr zeigt den nach Nordosten abziehenden Cluster. Sein Outflow stösst nach Schwaben vor und trifft an der Donau auf die Kaltfront, die sich nun zu regenerieren beginnt. Das System wird in der Nacht noch bis nach Tschechien und Nordösterreich ziehen und erst am frühen Vormittag allmählich zerfallen.
Wow, vielen Dank für diese Analyse!
Du machst es jedem Laien supereinfach, diese ungeheure Eigendynamik sozusagen im Nachhinein zu begreifen!
Grüsse – Microwave
Vielen herzlichen dank für diese verständliche Analyse. Super gemacht!!
Herzlichen Dank für die Informationen! Super Service!
Hallo Fabienne,
Herzlichen Dank. Im Nachhinein tönt alles so einfach und logisch. Was bedeutet aber „Kaltfront, die sich nun zu regenerieren beginnt“? Was braucht zur „Regeneration“?
Hallo
In diesem Fall war es das Auftreffen der Kaltfront auf neue, energiereiche Luft auf ihrer Vorderseite. Über dem Schwarzwald zog sie in ein Gebiet, in der die Energie von vorlaufenden Gewittern bereits „verbraucht“ wurde. Hinter dem Bodensee war es hingegen noch ruhig. Zusammen mit dem Outflow aus dem Ostschweizer Gewitter bildete sich eine neue Linie, zu sehen auf dem letzten Bild vor dem oberen grossen Pfeil.
Danke Fabienne,
deine Erklärungen in der Analyse waren schon klar. Nur der Begriff „regenerieren“ schent mir komisch. Wenn ich nach dem Sport regeneriere, dann werde ich wieder fitter. Ich meine damit, dass die Kaltfront auch wieder kälter werden müsste 😉
Herzliche Grüsse
Das Missverständnis rührt daher, dass eine Front nicht kalt oder warm ist, sondern mehr oder weniger aktiv. Kalt oder warm (mehr oder weniger) sind die Luftmassen, welche die Front trennt. Die Aktivität wird durch vielerlei Faktoren bestimmt, unter anderem durch den Energiegehalt der beteiligten Luftmassen und durch orografische Gegebenheiten. Es ist also völlig normal, dass eine Front in ihrem Lebenszyklus stärkere und schwächere Phasen durchläuft.
Deine Antwort war aber schnell. Warum bin ich nicht selber darauf gekommen. Wieder sehr logisch! Viel Spass bei der Verfolgung dieser neuen Kaltfront (die Luftmasse ist jetzt deutlich kühler und trockener).