Die Hitzewelle an Pfingsten 2014 brachte vielerorts Unwetter (Bern, 09.06.2014)
Auch wenn wir uns vor allem an die Kälte im vergangenen Frühling erinnern, so hat doch die extreme Wärme Ende März gezeigt, dass warme Phasen immer früher im Jahr auftreten. Nicht anders ist es mit den hochsommerlichen Hitzewellen. Vor zwei Jahren haben wir uns über neue Rekorde Ende Juni gewundert und im Vorfeld Prognosekarten, die 35 Grad für Hamburg zeigten, als Modellspinnerei verdächtigt. Gestern gab es die 35 Grad in Hamburg bereits am 17. Juni und etliche Stationen mit über 33 Grad an der Nord- und Ostseeküste, wobei die 33.8 Grad in Cuxhaven neuer Junirekord seit Messbeginn 1946 bedeuten. Wieso ist das für die Gewitterlage am Alpenrand von Bedeutung? Nun, Wettermodelle basieren zu einem grossen Teil auf Statistik, genauso wie Meteorologen aus ihrem Erfahrungsschatz schöpfen. In einem Klima, das immer häufiger extreme Lagen bringt, die so noch nie da waren, versagen Modelle und Erfahrungsschatz gleichermassen. So steht man beim Betrachten der Modellwelt während extremen Lagen immer häufiger wie der Esel am Berg und die Prognose wird zur reinen Lotterie – so ist es auch an diesem Wochenende.
Betrachten wir die Ausgangslage anhand der grossräumigen Druck- und Windverteilung in rund 5500 m Höhe:
Von einem Trog über Westeuropa tropft ein Tief über Portugal ab, auf dessen Vorderseite sehr heisse Luft von Marokko über Frankreich bis weit nach Nordeuropa verfrachtet wird. Ein Höhenkeil liegt mit seiner Achse genau über der (Ost-)Schweiz, ein zweites abgetropftes Tief über Osteuropa verhindert die rasche Ostwärtsverlagerung des gesamten Systems. Es handelt sich hierbei um eine etwas zerquetschte Omegalage, wobei die Schweiz über mehrere Tage hinweg genau im Grenzbereich von Hoch- und Tiefdruckeinfluss in einer süd-südwestlichen Strömung steht. In diese Strömung sind Wellen eingelagert, die mal trockene Luft aus der Sahara, mal feuchte Luft vom Mittelmeer zu uns führt – und dies auch noch alternierend in verschiedenen Höhenschichten. Frontensysteme des abgetropften Tiefs erreichen uns erst ab Sonntag, daher ist ein genauer zeitlicher Ablauf noch nicht absehbar, zumal auch nicht klar ist, wann und mit welcher Geschwindigkeit sich das Tief nach Osten bewegen wird. Ursprünglich sollte die Warmluft heute Freitag ausgeräumt werden, dann war es mal der Sonntag, inzwischen wird’s wahrscheinlich Mittwoch, bis wirklich kühle Luftmassen zu uns gelangen. Man wird sehen…
Doch auch in der Kurzfrist sind die Unsicherheiten enorm. Labilität ist vorhanden, wenn auch nicht extrem. Energie ist sicher in Form von Wärme auch mehr als genug in der Luft, doch die Geister scheiden sich am Anteil der Feuchte, die für die Gewitterauslöse benötigt wird. Der Boden liefert nach den nassen Wochen und mit der in den Alpen starken Schneeschmelze sicher eine gute Basis. In den letzten Tagen haben wir aber gesehen, dass die trockenen Luftschichten weiter oben nur mit Mühe überwunden werden konnten. Das Ergebnis waren lokale „Hungertürme“, die allenfalls mal für kurze Zeit etwas Wasser ablassen konnten – für ordentliche Gewitter hat es noch kaum gereicht. Heute Freitag ist die Luft etwas feuchter, offenbar aber immer noch grenzwertig genug, um ganz unterschiedliche Ausprägungen zu modellieren. Hier zwei Beispiele für denselben Zeitpunkt heute Nachmittag:
Welches Schweinderl hätten S‘ denn gern? Als ob das noch nicht genug wäre, wird auch innerhalb eines Modells von Lauf zu Lauf munter rumgehüpft, man kann sich also ganz nach seinem Gusto alle 6 oder auch 3 Stunden seine Wunschgewitterprognose basteln, ganz nach dem Motto: Alles kann, nix muss. Klar ist einzig: Sollte sich tatsächlich mal ein ordentlicher Cluster bilden, wird’s mit Sturmböen und Hagel recht ungemütlich, und da die Verlagerungsgeschwindigkeit auch nicht allzu hoch ist, kann’s an einem Ort mal ordentliche Mengen schütten. Dank föhniger Effekte ist die Wahrscheinlichkeit im Osten höher, dass es bei Einzelzellen bleibt, die rasch wieder vertrocknen.
Am Samstag erreicht uns trockenere Saharaluft, auch wird es in der Höhe noch etwa ein Grad wärmer, sodass die Labilität vorübergehend etwas sinkt. Dabei wird auch eine ordentliche Portion Saharastaub über uns hinweg ziehen:
Auf dem Satellitenbild ist bereits jetzt zu erkennen (und auch die Modelle sehen es), dass mit dem Saharastaub auch viel hohes Gewölk zu uns verfrachtet wird. Also eher nix mit „dünnen Schleierwolken“, sondern zumindest zeitweise wenn nicht sogar über längere Strecken des Tages eingeschränkte Sonneneinstrahlung. Dies kann das Zünglein an der Waage spielen, wenn am Abend die Feuchte wieder zunimmt: Ist die bodennahe Luftschicht genug warm, um auch die nötige Labilität für Gewitterbildung zu liefern? Während die einen Modelle den ganzen Tag und auch noch den Abend trocken sehen, gibt es auch diese Variante:
Also auch hier: Alles kann, nix muss. Ja ich weiss: doof! Ist aber so. Da die Höhenströmung etwas an Fahrt aufnimmt, wären heftige Entwicklungen entlang der Voralpenschiene am wahrscheinlichsten, mit der zunehmenden Windscherung könnte auch etwas Organisiertes mit grösserem Hagel entstehen – doch wie erwähnt sind die Unsicherheitsfaktoren zu hoch um heute bereits sagen zu können, ob überhaupt etwas entsteht.
Ist denn wenigstens am Sonntag etwas mehr Klarheit zu erwarten, wenn ein erster (noch behutsamer) Luftmassenwechsel ansteht? Das amerikanische Modelle zeigt eine Kaltfront am Jura bereits in den Morgenstunden:
Ob das Teiltief über den Niederlanden, das uns diese Front bringen soll, überhaupt entsteht, ist allerdings auch nicht klar. Am deutlichsten wird das, wenn man sich die Temperatur-Ensembles für Sonntag anschaut:
Die Streuung von 12 Grad zwischen dem wärmsten und kältesten Member zeigt: Wir können noch bis am Abend in der heissen Luft verbleiben, die kühlere Luft kann aber auch bereits am frühen Morgen eintreffen, wahrscheinlich aber geschieht der Wechsel irgendwann im Tagesverlauf. Somit ist es auch völlig müssig, heute bereits über irgendwelche Auswirkungen spekulieren zu wollen.
Etwas gebündelter sehen die Ensembles an den Folgetagen aus: Offenbar sollen schrittweise kühlere Luftmassen aus Westen einfliessen, wobei sich diese im Tagesverlauf jeweils erwärmen – abhängig von der Sonneneinstrahlung. Womit wir bei der nächsten Unsicherheit wären: Der Grad der Labilität ist sowohl am Montag wie am Dienstag unklar. Potenzial für gröbere Gewitter hat die Luftmasse nach wie vor, ob es allerdings auch abgerufen wird? Am Mittwoch und Donnerstag tendiert der Charakter der Luftmasse dann allerdings schon eher in Richtung Aprilwetter, das wir ja aus dem vergangenen Mai zur Genüge kennen. Das inzwischen zu einem selbständigen Kaltlufttropfen mutierte Portugal-Tief soll sich über unseren Köpfen allmählich auffüllen, immerhin diesbezüglich gibt es in der Modellwelt keine allzu grossen Differenzen. Somit stehen ein paar kühlere Tage an, die man durchaus als verspätete Schafskälte bezeichnen kann. Um uns herum lagern allerdings so viele warme Luftmassen, dass die nächste Hitzewelle bloss eine Frage der Zeit ist. Bei der zunehmenden Erhaltungsneigung grossräumiger Zirkulationsmuster ist es gut möglich, dass sich der ganze Ablauf zehn Tage später so ähnlich wiederholt – und somit der nächste Spekulatius gebacken werden kann.