Wetterblog

Themenschwerpunkt des neuen Wetterblogs von meteoradar ist der Radarblick auf das aktuelle Wetter. Wir möchten die User von Radar- und Blitzkarten bei deren Interpretation unterstützen. Zu bestehenden Beobachtungen, Vorhersagen und Warnungen werden in loser Folge vertiefende Erklärungen und Link-Hinweise auf externe Informationsquellen gegeben. Selbstverständlich finden auch im Nachhinein Analysen von besonderen Wetterereignissen ihren Platz.

Es ist uns ein Anliegen, bei den Lesern des Wetterblogs einen Lerneffekt auszulösen, und auf diese Weise zu einem bewussteren Umgang mit kurzzeitigen Wettergefahren wie Gewitter, Sturm, Sturzfluten, Hagel im Sommer, oder Glättegefahr im Winter beizutragen.

Der Wetterblog wird in Zusammenarbeit mit fotometeo Muriset betrieben.

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18.8.2020: Basler Split und Linksläufer-Superbabyzelle

Der Linksläufer im Abendlicht
Foto: Mike Tscharner

Am Abend des 18.8.2020 teilte sich eine Gewitterzelle, welche knapp südwestlich von Basel entstanden ist. Die eine Zelle wich dem mittleren Höhenwind nach rechts, die andere nach links aus. Der Rechtsläufer zerfiel nach 1 3/4 Std., der Linksläufer überlebte länger, ca. 2.5 Stunden. Dieses Verhalten ist unüblich, meistens ist es umgekehrt. Dies ist Grund genug, den Linksläufer genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Zufall wollte es, dass die Zelle ziemlich nahe am Feldberg Radar vorbeizog. Damit kann mit Hilfe der Dopplerwindmessungen des Radars untersucht werden, ob der Aufwind der Zelle rotierte oder nicht. In unserem Vorgängerblog („Ausbruch von Superzellen?“) hatten wir darauf hingewiesen, dass die Umgebungsbedingungen für Rotation bei den Linksläufern in der Regel weniger günstig sind als bei Rechtsläufern.

Die folgende gif-Animation zeigt die Zellteilung und die unterschiedlichen Zugbahnen der beiden Split-Zellen zwischen 1810 und 21 Uhr. Die Wolkentops erreichten ca. eine Höhe von 10 km über Meer, und die Hagelcores (rote Säulen) stiegen auf maximal 6 km. Die Zellen entstanden in einer vom Nordatlantik stammenden, mässig instabilen Luftmasse auf der Rückseite eines abziehenden Höhentroges und erreichten nicht die Ausdehnung und Stärke von hochsommerlichen Gewittertürmen.

Radar-Animation des Basler Splits.

Wir untersuchen im folgenden den Linksläufer um 21 Uhr, der Zeitpunkt, zu welchem die Zelle im Süden des Feldberg Radars vorbeizog. Wir zeigen vier vergrösserte Radarbild-Ausschnitte: die Doppler-Geschwindigkeit auf 2.6 km Höhe über Meer (Elevation 2.5 Grad), ungefiltert und gefiltert, und die Radarreflektivität auf 2.6 km und 5 km Höhe über Meer.

Das untenstehende Bild der Doppler-Geschwindigkeit zeigt einen Vortex moderater Stärke. Im ungefilterten Bild (links) sind eine grössere Zahl von Fehlmessungen erkennbar. Diese sind kleinräumig und sehr variabel. Mit einem Median-Filter kann das Doppler-Bild in der Regel recht gut von Fehlmessungen gesäubert werden. Eine Beurteilung der Wirkung eines Filters von Auge ist aber immer empfehlenswert. In diesem Beispiel (Bild rechts) bleibt nach der Filterung genau ein offensichtlicher Fehlwert übrig. Dieser kann vernachlässigt werden, und der Doppler-Vortex wird bestätigt. Der Wirbel rotiert antizyklonal (also im Uhrzeigersinn), genauso wie es sich für einen Linksläufer gehört. Die Rotation ist in den Radarbildern mehrerer benachbarter Elevationen über einen Höhenbereich von 2.5 – 5 km über Meer nachweisbar. Allerdings ist die Wirbelstärke nicht besonders berauschend.

Die Doppler-Geschwindigkeit auf 2.6 km Höhe (Elevation 2.5 Grad), gemessen mit dem Feldberg Radar um 19:00 Uhr. Das Bild links ist ungefiltert, im Bild rechts wurde auf die Daten ein 3×3 Punkte Medianfilter angewendet. Grüne Farben bedeuten Bewegung aufs Radar zu, die braun-roten Farben weisen auf Bewegung vom Radar weg hin. Datenquelle: DWD Wetterradar Feldberg

In den folgenden Figur wird die Radarreflektivität auf 2.6 km (Elevation 2.5 Grad) und auf 5 km (Elevation 8 Grad) angezeigt. Im Bild links ist eine für Superzellen charakteristische Struktur erkennbar: ein Haken („Hook“), eine (durch den Haken begrenzte) Schwachechozone („weak echo region“ oder „WER“) und hohe Gradienten der Radarreflektivität auf der Nordseite der Zelle. Die Grenze der Schwachechozone ist mit einer schwarzen Linie markiert, diese Linie wurde in das auf 5 km Höhe aufgenommene Radarbild übertragen (rechts). In diesem Bild begrenzt diese Linie eine Zone mit markant höheren Radarreflektivitätswerten, man spricht deshalb von einem Überhang. Die „weak echo region“ markiert die Lage des Aufwindes: in diesem werden die Wolkenpartikel in die Höhe transportiert, bevor sie an Volumen zulegen und, im Überhang und seitlich angrenzend, allenfalls Hagelkorngrösse erreichen. In der Grafik links ist auch die Position des Dopplerwirbels eingetragen, wie er in der vorangehenden Figur identifiert worden ist. Man kann hieraus schliessen, dass der Aufwind rotiert, und zwar, wie schon beschrieben, antizyklonal, d.h. im Uhrzeigersinn. Mit der Rotation werden die Niederschlagsteilchen um das Aufwindzentrum herumgeführt, und es kommt zur Bildung des charakteristischen „Hook“-Echos.

Die Radarreflektivität auf 2.6 km Höhe (links) und auf 5 km Höhe (rechts). Typische Merkmale werden in weisser Schrift markiert, der/die geneigte Leser/in möge verzeihen, dass wir z.T. auf die im englischen Sprachgebrauch üblichen Begriffe zurückgreifen. Datenquelle: DWD-Wetterradar Feldberg.

Der Linksläufer kann also zum untersuchten Zeitpunkt (21 Uhr) als Superzelle klassiert werden. Die beschriebene Struktur kann in vier aufeinanderfolgenden Messzyklen (20:55 – 21:10) Uhr mehr oder weniger deutlich nachgewiesen werden. Vorher und nachher sind die Merkmale einer Superzelle weniger klar. Allerdings müssten die Messdaten durchgehend analysiert werden, um die effektive Dauer dieser superzellulären Phase zu bestimmen. Ab 21:15 Uhr schwächelte die Zelle zunehmend und verschwand eine halbe Stunde später aus dem Radarbild.

Die in den Radarbildern sichtbaren und beschriebenen Merkmale sind ein Spiegelbild der weitaus häufigeren rechtsziehenden Superzellen. Allerdings ist die Zelle markant kleiner als ihre grossen, ausgewachsenen Gegenspieler, welche typischerweise lange Schadenspuren durch Hagel, Sturm und schlimmstenfalls Tornados generieren. Man könnte in diesem Fall von einer Superbabyzelle oder, offizieller, von einer Mini-Superzelle sprechen. Der Vollständigkeit halber wird in der folgenden Figur ein stark vereinfachter Hodograf wiedergegeben (beruhend auf der Payerne-Sondierung vom 19.8.2020 00z), mit welchem die SREH 0-3 km abgeschätzt werden kann (vgl. hierzu unseren Vorgängerblog „Ausbruch von Superzellen“). Der gefundene Wert (37 m2/s2) ist wenig berauschend und liegt deutlich unter der Schwelle (100-150 m2/s2), ab welcher gemeinhin Superzellen erwartet werden. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die Windverhältnisse nur lokal die Entstehung der beobachteten Superzellenstruktur begünstigt haben. Dafür spricht auch die möglicherweise nur kurze Dauer der superzellulären Phase.

Vereinfachter Hodograph, beruhend auf der Payerne-Sondierung vom 19.8.2020 00Z und der berechneten Zugrichtung und Geschwindigkeit des Linksläufers.

Falls jedoch der Aufwind des Linksläufers vor 20:55 Uhr (noch) nicht rotierte, dann wäre die Zelle erst 1.5 Stunden nach ihrer Entstehung in eine Superzelle mutiert. Die Zellenbewegung blieb über die gesamte Lebensdauer etwa die gleiche. Es ist also möglich, dass der Aufwind eines Linksläufers manchmal rotiert, manchmal nicht, ohne dass dies aus der Zugbewegung direkt erkennbar wäre. Ein schlecht aufgelöstes Kompositbild hilft da wenig, erst mit Hilfe eines vollständigen Volumendatensatzes und mit qualitativ guten Doppler-Messungen gelingt es, den Status eines Linksläufers (Superzelle oder nicht) zuverlässig zu bestimmen. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu und gilt auch für Rechtsläufer.

 

Gewittervorschau 13.-19.08.2020

Starkes Gewitter nördlich von Bern mit nassem Downburst (97 km/h an der Messstation Zollikofen), am 12.08.2020

Eine Frage drängt sich Mitte August immer auf: Verabschiedet sich der Hochsommer mit Getöse und endgültig, oder schleicht er sich heimlich davon, um dann vielleicht doch durch die Hintertür noch mal vorbeizuschauen, wie in den letzten Jahren öfters vorgekommen? Derzeit macht es den Eindruck, als würde er des Hauses verwiesen, sich aber mit diesem Verdikt nicht zufrieden geben und unter Protest und Krawall noch mal Einlass erzwingen zu wollen. Kurzum: Bis in die nächste Woche und vielleicht noch darüber hinaus bleibt es in der Wetterküche spannend. Die Zutaten für ordentliche Gewitterlagen sind jedenfalls noch lange nicht Mangelware und versprechen noch einige Überraschungen – ob man solche mag oder nicht, sei jedem selbst überlassen.

Die Ausgangslage zeigt die seit Tagen flache Druckverteilung über fast ganz Europa. Was gegenüber den letzten Tagen ändert, ist die Abschwächung und gleichzeitige Verdrängung des Höhenrückens, der noch häufig als Deckel für die Gewitterentwicklung im Flachland gewirkt hat, nach Osten:

Das vor der Biskaya liegende Tief verstärkt sich in den kommenden Tagen nach und nach, womit ein schleichender Umbau der Grosswetterlage stattfindet und wahrscheinlich in eine längere GWL „Südwest zyklonal“ mündet. So lange sich dieses Tief nicht weiter nach Osten bewegt, verbleiben wir im wechselhaften Bereich zwischen sehr warmer Subtropikluft aus südlichen Richtungen und zeitweise westlich und südlich um das Tief herumgeführter, erwärmter Polarluft. Wie so oft bei solchen Lagen können geringe Verschiebungen der Druckzentren darüber entscheiden, ob wir mehr Warm- und Kaltluft abbekommen, entsprechend ist die nachfolgende Prognose eine Momentaufnahme und nicht in Stein gemeisselt – tageweise Verschiebungen der Witterungsabläufe sind einzuplanen.

Für heute Donnerstag kann man noch mal mit einem ähnlichen Verlauf wie am Vortag rechnen: Zwar ist es nicht mehr ganz so heiss, aber nach wie vor schwül. Durch die Abschwächung des Höhenrückens wird die Sonneneinstrahlung durch mehr Wolkenfelder und somit die Erwärmung der bodennahen Luftschicht etwas gebremst, was aber durch etwas kältere Höhenluft wettgemacht wird: Die Labilität ist nach wie vor sehr hoch. Ab Mittag geht es somit wieder los mit ersten, vorerst lokalen Schauern und Gewittern im Bergland. Für den Abend wird aus Westen mehr Aktivität modelliert, wenn auch zeitlich und von der Intensität alles Andere als einheitlich. Ein ähnlicher Ablauf wie gestern ist einzuplanen, es besteht also wieder das Potenzial sehr plötzlich entwickelnder Starkgewitterzellen, die sich je nach sich zufällig ergebenden Bodenkonvergenzen mehr oder weniger gut organisieren können. Hauptgefahr bleibt dabei der Starkregen und lokal auftretende „wet downbursts“, also durch starke Niederschlagsabkühlung sich am Boden vom Gewitter weg ausbreitende Sturmböen. Dichter Hagel ist als Begleiterscheinung möglich, dürfte aber von der Korngrösse her eher im kleineren Bereich bleiben.

In der zweiten Nachthälfte bzw. am Freitagmorgen zieht eine schwache Kaltfront durch und verdrängt die schwül-warme Luft aus dem Mittelland:

Das geht möglicherweise mit etwas flächigerem Regen mit eingelagerten Gewittern einher – dass es dabei aber überall nass wird, ist nicht garantiert. Die rückseitige Labilität sorgt tagsüber noch für einige Schauer, und wo sich inneralpin Warmluftreste halten konnten, ist auch noch mal mit dem einen oder anderen Gewitter zu rechnen. Zum Abend sollte es aber weitgehend trocken werden.

Zum Wochenende wölbt sich der Höhenrücken genau über der Schweiz noch mal etwas auf und sorgt für eine ruhigere Phase:

Die Labilität wäre zwar ausreichend für Gewitter, am Samstag sollte der Deckel aber weitgehend halten. Ein paar Entwicklungen in den Bergen sind zwar möglich, sollten sich aber lokal begrenzen und eher von kurzer Dauer sein. Am Sonntag wird es dann bereits wieder heiss genug, um den Deckel etwas häufiger zu durchbrechen. Vor allem zum Abend hin steigt das Gewitterpotenzial an, das muss man aber zeitnah genauer betrachten.

Am Montag steht die nächste Kaltfront an:

Hier wird die Gewitteraktivität vor allem vom tageszeitlichen Eintreffen abhängen, das auf diese Zeitspanne noch nicht festgelegt werden kann. Kommt die Front in den frühen Morgenstunden, wird es etwa ähnlich harmlos ablaufen wie am Freitag (die beteiligten Luftmassen vor und nach der Front sind dieselben). Sollte es aber eine Verzögerung in den Tag geben, sodass die Sonne vor der Front noch lange genug aufheizen kann, ist Unwetterpotenzial gegeben.

Für Dienstag und Mittwoch wird es unsicher. Das amerikanische Modell lässt das Höhentief genau über die Schweiz ziehen, womit schon fast Aprilwettercharakter auftritt: Kühl, wechselhaft und schaueranfällig, wobei die Höhenkaltluft Labilität für Gewitter liefern könnte. Die anderen Modelle lassen das Tief weiter nördlich ziehen, womit der Alpenraum in höherem Geopotenzial und wärmerer Höhenluft verbleiben würde. Das Resultat wäre spätsommerlich temperiertes Wetter mit wahrscheinlich nur lokalen Schauern und Gewittern. Diese Unsicherheit zeigt sich auch im GFS-Ensemble, wo der Hauptlauf die kälteren Lösungen vertritt – auch was die nachfolgende Erholung betrifft: trocken-kühl oder trocken-warm bis sogar wieder heiss?

Man sieht: Die Frage, ob sich der Hochsommer nächste Woche geschlagen gibt, lässt sich noch nicht beantworten.

28.7.2020: Ausbruch von Superzellen?

Blick von Sellenbüren in Richtung SW auf eine der zahlreichen Superzellen des Tages

Nein, Superzellen haben nichts mit Superspreader zu tun, und noch viel weniger mit Superviren. Superzellen sind eine spezielle Klasse von Gewittern, nämlich solche, bei welchen der Aufwind rotiert. Dieser rotierende Aufwind wird auch als „Mesozyklone“ (oder „Mesoantizyklone“) bezeichnet, je nach dem Drehsinn der Rotation (im Gegenuhrzeigersinn bei den Mesozyklonen). Superzellengewitter sind gefürchtet, weil sie gerne von Hagel, Sturmböen, Sturzfluten und Tornados begleitet sind. In der Schweiz sind Superzellen in den letzten Jahren, mindestens nördlich der Alpen, seltener geworden. Das hängt mit der Stärke des Höhenjets im mäandrierenden Westwindgürtel der mittleren Breiten zusammen. Wird der Höhenjet schwächer (als Folge der Klimaerwärmung), dann werden die Scherzonen seltener, welche für den Aufbau von Rotation in der Aufwindzone von Gewitterzellen nötig sind.

Ganz im Gegensatz zum beschriebenen Trend der letzten Jahre war der Hochsommer 2020 bislang durch eine länger dauernde und nur schwach mäandrierende Westwindströmung geprägt. In dieser Strömung eingebettet sind in den letzten Wochen eine Serie von Kurzwellentrögen schleifend vorbeigezogen. Der Höhenjet des letzten Troges hat den Alpenraum am 28.7.2020 jedoch voll erfasst. Vom Boden bis in 3 km Höhe nahm die Windstärke um über 60 km/h zu. Dadurch entstand eine ideale Scherung für den Aufbau von rotierenden Aufwinden und von Superzellen. Ab dem Mittag bis weit in die Nacht bildeten sich vor allem in der Ostschweiz und den Alpen entlang eine Vielzahl von Gewitterzellen, welche rasch nordostwärts und ostwärts weiterzogen und vielerorts für heftige Hagelschläge sorgten. Der von Christian Matthys im Sturmforum bereitgestellte Radarloop vom 28.7.2020 (vielen Dank!) gibt einen guten Überblick über das Geschehen während der 14-stündigen Gewitterperiode.

Aber waren die zahlreichen Gewitterzellen dieses Tages auch Superzellen?
Über diese Frage wurde im Sturmforum bereits ausgiebig diskutiert. Vortex-Signaturen von Dopplerwindmessungen in mittleren Höhen (typischerweise 5 km) könnten die Existenz von Mesozyklonen belegen. Solche Daten sind leider nicht verfügbar, der Feldberg-Radar als mögliche Datenquelle ist zu weit weg. Aus diesem Grund behelfen wir uns mit einer Analyse des Umgebungswindes. Für diese stark vereinfachte Betrachtung nutzen wir die Erfahrung, dass die Geschwindigkeit von Gewitterzellen etwa der Windgeschwindigkeit in 3 km Höhe (700 hPa) entspricht. In niedrigen Höhen ist die Windstärke in der Regel geringer, also kriegt die Gewitterzelle ihr „Futter“ (= energiereiche Bodenluft) aus einer Schicht vom Boden bis ca. 3 km Höhe. Rotiert die einfliessende bodennahe Luftschicht (der Fachmann spricht von „streamwise Vorticity“), dann wird die Rotationsachse von der Horizontalen in die Vertikale gekippt, und die einfliessende Luft wird als Mesozyklone (= rotierender Aufwind) zum Zentrum der Gewitterzelle.

Werte von über 150 m2s-2 der sog. „storm-relative“ Helicity (auch „SREH“ genannt) sind ein guter Indikator für Mesozyklonen. Diese Grösse kann aus dem Vertikalprofil (0 – 3 km Höhe) des Horizontalwindes und dem Bewegungsvektor der Gewitterzellen ermittelt werden. Das entscheidende Hilfsmittel hierzu ist der Hodograph: eine Darstellung, in welcher die Vektorspitzen der Windvektoren und des Bewegungsvektors der Gewitterzelle mit einer Linie verbunden werden. Die dabei umschlossene Fläche, multipliziert mit dem Faktor 2, ergibt dann die SREH.

Wir haben die Zugrichtung und die Zuggeschwindigkeit von neun besonders langlebigen (> 60 min) Gewitterzellen ausgewertet. Die Zugbahnen sind in der folgenden Abbildung eingetragen. Es zeigt sich ein für solche Wetterlagen typisches bimodales Muster der Bewegungsrichtung. Dementsprechend können die neun Zellen in 5 „Rechtsläufer“ („right mover“) und 4 „Linksläufer“ („left mover“) aufgeteilt werden.

Die Zugbanen von 9 besonders langlebigen Gewitterzellen, 5 „right mover“ (rot) und 4 „left mover“ (gelb).

Und dies sind die Mittelwerte der Bewegungsvektoren (Azimuth 0 Grad bedeutet Bewegung in nördliche Richtung, 90 Grad in östliche Richtung usf.):

Right mover (Mittelwerte von 5 Zellen)
Azimuth/Geschwindigkeit:  95 Grad/56 km/h

Left mover (Mittelwerte von 4 Zellen)
Azimuth/Geschwindigkeit:  63 Grad/64 km/h

Zur Charakterisierung des Umgebungswindes in der freien Atmosphäre verwenden wir die Radiosondierungen von Payerne, wohl wissend, dass eine detaillierte Analyse der lokalen Windverhältnisse den Rahmen dieses Blogbeitrages bei weitem sprengen würde. Der Einfachheit halber werten wir nur die Höhenlevel Boden, 700 hPa und 500 hPa aus. Für eine umfassende grafische Darstellung der Sondierungsdaten (inkl. Hodographen) verweisen wir auf die Auswertungen von Bernhard Oker.

Die folgenden Diagramme zeigen die Wind-Hodographen (blaue Linie) der Payerne-Sondierungen vom Mittag des 28.7. und der kommenden Nacht. Die mittleren Bewegungsvektoren der Gewitterzellen sind mit blauen Kreuzen markiert. Die Berechnung der SREH führt zu einem klaren Resultat:
nur die Rechtsläufer haben „superzellenfördernde“ Werte der SREH von über 150 m2s-2.

Entscheidend für die Umsetzung einer hohen Windscherung in eine hohe SREH ist eine erhebliche Abweichung der Bewegungsrichtung einer Gewitterzelle von der Windrichtung in 700 hPa.

Dies ist eine einfache Regel, welche rasch und unkompliziert geprüft werden kann, sobald die Bewegungsrichtung einer Gewitterzelle klar erkennbar ist. Zusammengefasst bedeutet dies, dass am 28.7.2020 nur die Rechtsläufer mit guter Gewissheit als Superzellen angesehen werden können.

Wind-Hodograph des Payerne-Sondierungen vom 28.7.2020 12z und 29.7.2020 00z. Zusätzlich sind die gemittelten Bewegungsvektoren der right-mover und left-mover eingetragen. Aus den farbigen Flächen wurde die SREH berechnet. Die SREH der right-mover entspricht selbstversändlich der roten + der orangenen Fläche.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei den Linksläufern ist zumindest ein Fragezeichen zu setzen. Beim Betrachten der Zugbahnen der 9 untersuchten Gewitterzellen (siehe oben) fällt auf, dass die Linksläufer bis auf eine Ausnahme entlang der Voralpen entstanden sind. Es wäre denkbar, dass die Payerne-Sondierung die Windverhältnisse in den Voralpen nicht realistisch wiedergibt, dass, zum Beispiel, der Wind in 700 hPa mehr aus nördlicher Richtung in die Zellen einfliesst und die SREH höher ist als berechnet. Die Windmessung auf dem Titlis (3100müM) spricht eher dagegen. Bis ca. 16 Uhr stimmt die Windrichtung gut mit der Payerne-Sondierung überein. Danach dreht zwar der Wind stufenweise etwas mehr in westliche Richtung, aber der Titlis war nach 16 Uhr voll im Einfluss durchziehender Gewitterzellen. Die Winddrehung könnte sich outflowbedingt geändert haben, zudem kann das Gelände die Windmessung beeinflussen.

In einer Studie  von Houze et al. (1993) wurden die Linksläufer im Alpenraum im Detail untersucht. Dabei wurde die folgende Schlussfolgerung gezogen:

„However, the left-moving members of the splits are not similar to … . They are not ordinary cells, nor are they classic supercells, but rather of some intermediary structure.“

Ob Superzelle oder nicht – Fact ist, dass die Linksläufer am 28.7.2020 den Rechtsläufern betr. Stärke und Lebensdauer ebenbürtig waren. Auch grosser Hagel konnte den Linksläufern zugeordnet werden. Linksläufer können also genauso gefährlich sein wie die Rechtsläufer, welche hierzulande in der Regel die grössten Alphatiere im Haifischbecken der Gewitterzellen hervorbringen. Die Frage ob Superzelle oder nicht ist, im Hinblick auf Hagel, Starkniederschlag oder Sturmböen, eher von untergeordneter Bedeutung. Dies gilt aber nicht im Hinblick auf das Tornadorisiko. Hohe Werte der SREH weisen auf ein erhebliches Tornadorisiko hin, und dieses Risiko scheint den Rechtsläufern vorbehalten. In der Tat können nordhemisphärenweit nur sehr wenige Tornadoereignisse den Linksläufern zugeordnet werden.

Zurück zur Titel: dieser sollte korrekterweise in „Ausbruch von rechtsziehenden Superzellen“ abgeändert werden.

 

 

 

 

 

Gewittervorschau 31.07.-06.08.2020

Aufziehendes Gewitter am 01.08.2012 über dem Gurten bei Bern

Zwar schauen wir im Rahmen dieses Blogs wie gewohnt auf eine ganze Woche, doch das Hauptaugenmerk richtet sich diesmal auf den Bundesfeiertag. Wenngleich kaum grössere Feiern und Feuerwerke stattfinden, so ist doch mit vielen Zuhausegebliebenen das Interesse am Wetter während der zahlreichen privaten Aktivitäten gross. Wir können es vorweg nehmen: Die privaten Feuerwerke werden wahrscheinlich vielerorts Konkurrenz von oben bekommen. Die Lage ist allerdings synoptisch komplex und derart vertrackt, dass die Modelle vogelwild herumrechnen. Daraus eine konkrete Prognose zu basteln, ist nicht ganz einfach…

Doch gehen wir Reihe nach. Die Ausgangslage zeigt eine schwaches Hoch über Mitteleuropa, das sich am Samstag allmählich verabschiedet und zunehmend einem Trog über Westeuropa den Einfluss überlässt:

Am Freitag liegt der Höhenrücken genau über der Schweiz und deckelt daher die meisten Entwicklungen. Lokale Auslöse ist nur orgraphisch unterstützt dort möglich, wo die Bodenheizfläche sehr hoch liegt, also in den Alpen. Die Gewitter werden allerdings nicht so gehäuft und kräftig auftreten wie noch am Donnerstagabend – manche Modelle lassen es sogar gänzlich trocken, woran die Erfahrung aus früheren Jahren mit sehr heissen Tagen jedoch zweifeln lässt. Feuchte und Energie ist dort jedenfalls genug vorhanden, das zeigten die Wolkenfelder heute Morgen an. Wahrscheinlich entstehen verstreut einige kurzlebige Schauer, von denen auch mal der Eine oder Andere elektrisch werden kann. Allerdings ist auch nicht völlig ausgeschlossen, dass irgendwo durch zufällige Konvergenzen der Deckel durchbrochen wird und ein einzelnes, kräftiges Gewitter entsteht.

Kommen wir nun zur Komplexität der Wetterlage am 1. August 2020. Die vorhandene Luftmasse ist heiss und sehr energiereich, zudem wird sie in mittleren Höhen bereits im Lauf des Morgens stark angefeuchtet. Die Modelle sind diesbezüglich noch stumm, aber bei solchen Voraussetzungen braucht es für Morgenkonvektion nur wenig – es sei hier vorsichtshalber einfach erwähnt. (Nachtrag: Doch, der neueste Cosmo-Lauf deutet jetzt etwas an). Jedenfalls sollte man sich von den tagelang geschürten Vorstellungen eines sonnigen, heissen und trockenen 1. August verabschieden – übrig bleibt davon nur: heiss. Hinzu kommt: schwül. Einen angenehmen Sommertag stellt man sich gemeinhin anders vor…

Nun müssen wir also mal wieder abwarten, was am Morgen geschieht, denn das wird Auswirkungen auf den ganzen Rest des Tages haben. Sollten bereits am Morgen Gewitter durchs Mittelland und über den Jura ziehen, hat man dort zumindest bis zum späten Nachmittag mal Ruhe. Ist es am Morgen trocken und kann die Sonne voll einheizen, so geschieht das, was einige Modelle zeigen: Bereits ab Mittag können über dem Jura kräftige Gewitter entstehen. Sie ziehen mit dem südwestlichen Höhenwind auf der klassischen Juraschiene. Gegen diese Variante spricht allerdings das Bodentrögli nördlich von uns:

Tiefer Luftdruck über Deutschland und hoher über Frankreich hat unweigerlich zur Folge, dass der Wind in den unteren Luftschichten auf Nordwest dreht und bodennah trockenere Luft einfliessen lässt. Jetzt fragt sich nur: Zu welchem Zeitpunkt geschieht dies? Würgt dies die Gewitter in der Nordwestschweiz und im Jura gleich gänzlich ab oder geschieht die Entwicklung abgekoppelt von der Grundschicht einfach aus der feuchteren mittleren Schicht? Das wäre bei dieser Hitze brandgefährlich hinsichtlich heftiger Downbursts. Es ist jedenfalls angebracht, die Entwicklung sehr gut im Auge zu behalten und bei Anzeichen eines sich nähernden Gewitters alles reinzuräumen, was nicht niet- und nagelfest ist.

Gegen Abend dreht dann auch der Wind in den mittleren Luftschichten auf West bis Nordwest, somit verlagert sich der Schwerpunkt der Gewitter an den Alpennordhang. Dieser Punkt ist derjenige, der noch am sichersten zu prognostizieren ist. Heftige, allmählich verclusternde Gewitter am Alpennordhang und inneralpin mit Starkregen und allenfalls dichtem, kleinkörnigem Hagel zeigen fast alle Modelle für den Abend. Worüber sich die Modelle allerdings überhaupt nicht einig sind, ist die Verlagerungsrichtung dieser Cluster, weil der steuernde Höhenwind nicht einheitlich berechnet wird. Manche Modelle belassen ihn auf Südwest, wodurch die Gewitter auch aus den Voralpen ins benachbarte Mittelland ziehen können (es gibt sogar Varianten, welche die Gewitter nach Norden ziehen lassen). Wiederum andere sehen eine frühere Drehung auf West bis Nordwest, was die Cluster mehr in die Alpen hineintreibt, in diesem Fall hätte das Mittelland nur noch allfällige Entwicklungen aus dem Jura (die am Abend wegen den oben geschilderten Umständen unwahrscheinlicher werden) zu befürchten. Alles in allem also Chaos pur in der Modellwelt und daher reine Nowcasting-Sache. Wir werden so gut wie möglich im Kurzwetterbericht unter dem Radar die kurzfristigen Entwicklungen und daraus resultierende Aussichten aktualisieren.

Am Sonntag zieht aus Nordwesten eine Kaltfront auf:

Da steht ein mehrheitlich stark bewölkter und regnerischer Tag an. Die Reste der schwül-heissen Luft lagern noch in den Alpentälern und werden durch den Nordwestwind angehoben, hier und vor allem an der Alpensüdseite ist daher mit weiteren kräftigen und niederschlagsreichen Gewittern zu rechnen. Im Lauf des Nachmittags stabilisiert es von Nordwesten, im Flachland wird es somit bald trocken, während die Hauptaktivität in den Alpen und im Süden am Abend zu erwarten ist.

Am Montag bekommen wir klassisches Rückseitenwetter mit labilisierender Höhenkaltluft. Ob daraus nur Schauer oder doch Gewitter resultieren, hängt hauptsächlich davon ab, wie gut sich bodennah vor allem in den Alpen noch Reste der schwülen Luft halten konnten. Unwetterartige Entwicklungen sind aber kaum noch zu erwarten. Im Tessin wird es mit zunehmendem Nordföhn trocken.

Dienstag ist dann Durchlüften angesagt. Zunehmender Hochdruckeinfluss aus Westen lässt es abgesehen von ein paar schwachen Schauern in den Ostalpen trocken bleiben, die Temperaturen bleiben deutlich unter 25 Grad. Am Morgen kann es – abhängig davon, ob es in der Nacht zuvor bereits aufklart, sogar recht frisch werden.

Der Mittwoch scheint der stabilste Tag der Woche zu werden. Ein neues Hoch baut sich auf und trocknet alle Restfeuchte von oben ab. Die Temperaturen steigen wieder in den normalen sommerlichen Bereich etwas über 25 Grad.

Die weitere Entwicklung ist noch nicht ganz klar. Einige Modelle zeigen seit Tagen ein stabiles Hoch über West- bis Mitteleuropa, das mit Luftmassen aus Süden die nächste Hitzewelle einleitet, die dann auch etwas länger anhalten könnte. Wir haben allerdings einen Westlagen-Sommer und der Siebenschläfer-Zeitraum ist noch nicht vorüber. Es würde daher nicht erstaunen, wenn jene Modelle Recht behalten, welche eher eine antizyklonale Westlage sehen. Auch diese bringt heisse Tage, aber weniger stabil und anfällig für zumindest vom Bergland ausgehende Gewitter.

Gewittervorschau 21.-27.07.2020

Aus Westen nichts Neues: So kann man kurz die Lage in diesem Hochsommer zusammenfassen. Die recht verlässliche Siebenschläfer-Regel, wonach sich die Anfang Juli etablierte grossräumige Zirkulation mehrere Wochen (es müssen nicht exakt sieben sein) hält, ist auch in diesem Jahr wieder eine Macht. Die spannende Frage während einer solchen Phase ist die, wie viele Anteile von Nordwest oder Südwest sich zwischendurch reinmischen. Letzte Woche war Nordwest dran, diese Woche ist es eher Südwest (wenn auch nur wenig), was sofort einen völlig anderen Witterungscharakter zur Folge hat, weil energiereichere Luftmassen ins Spiel kommen. Für alle, die es bisher vermisst haben: Endlich stellt sich eine mehrere Tage anhaltende potenzielle Gewitterlage ein. Diese kann sich allerdings jeden Tag ein wenig anders präsentieren.

Betrachten wir die grossräumige Ausgangslage mit den steuernden Druckgebieten und den Windströmungen in rund 5500 m Höhe, so sehen wir eine recht stramme Westströmung, die den gesamten Raum vom Nordatlantik bis weit nach Europa hinein dominiert:

Schaut man genau hin, so sieht man eine nordwestliche Höhenströmung von Grönland über Island und die Nordsee bis ins nördliche Mitteleuropa; sie bringt bereits seit Wochen mit nur kurzen Unterbrechungen sehr kühle Polarluft. Auf der anderen Seite zielt dank eines abgetropften Höhentiefs bei Portugal eine warme südwestliche Strömung in Richtung Alpen. Über Süddeutschland treffen diese unterschiedlichen Luftmassen in einer scharfen Grenze aufeinander, allerdings unter relativ hohem Luftdruck:

Die parallel zur Höhenströmung schleifende Bodenkaltfront ist nur wenig aktiv, verharrt bis Donnerstag mehr oder weniger in dieser Position, womit die Schweiz in der subtropischen Luftmasse verbleibt. Wozu eine solche fähig ist, haben wir bereits heute Morgen in weiten Teilen des Mittellands erleben dürfen: Kleinräumige, in den Modellkarten kaum erkennbare Kurwellentröge reichen aus, um diese schwüle Suppe auch ohne Sonneneinstrahlung hochkochen zu lassen. Wenn also in den Lokalmodellen in den frühen Morgenstunden schwache Niederschlagssignale auftauchen, so kann man fast mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie sich wie heute früh als ausgewachsene Gewitter entpuppen werden. Wenn Modelle etwas nicht können, dann ist es Morgenkonvektion. Wäre schön, wenn die Modellentwickler da mal dran arbeiten würden…

Hat sich die Energie am Morgen mal entladen, hat man für eine gewisse Zeit Ruhe. Die Restwolken müssen sich erst mal verziehen und der Sonne Gelegenheit geben, die am Boden liegende Feuchte wieder hochzuziehen. Schauer und Gewitter am frühen Nachmittag gehen somit in erster Linie dort nieder, wo es am Vormittag trocken war. Die am Morgen bedienten Gebiete werden dann am Abend und der folgenden Nacht wieder beglückt. So in etwa sieht der jeweilige Tagesablauf der kommenden drei Tage aus – man muss also vom Wetter am Morgen auf den weiteren Verlauf schliessen. Dank der zügigen Höhenströmung bewegen sich die Gewitter sehr rasch, es kommt also nur selten zu stundenlangem Starkregen, die Überflutungsgefahr ist eher gering. Hagel ist eher kleinkörnig ein Thema, weil zwar eine starke Geschwindigkeitsscherung, aber keine Richtungsscherung herrscht (am Boden in etwa gleiche Windrichtung wie in der Höhe). Der Höhenwind kann in Begleitung von Gewittern mal in tiefe Lagen runtergemischt werden, mehr als „normale“ stürmische Böen sind allerdings bei den wenig organisierten Gewittern die Ausnahme.

Am Freitag ändert die Lage etwas, denn westlich von uns etabliert sich ein Zwischenhoch und drückt somit die kühlere Luftmasse aus Nordwesten gegen die Alpen:

Kaltfrontgewitter sind somit bereits Donnerstagnacht zu erwarten – wie aktiv, hängt wie oben erläutert von den Bedingungen tagsüber ab. Jedenfalls verlagert sich die Aktivität am Freitag an den Alpennordhang und in die Alpen: Länger anhaltender, zu Beginn noch gewittrig durchsetzter Stauregen ist zu erwarten. Gut möglich, dass der Schub aus Nordwesten zu schwach ist, um die Warmluftnester in den Alpentälern auszuräumen, dann sind inneralpin noch ganztags kräftige Gewitter möglich.

Am Wochenende und zu Beginn der neuen Woche wird es abenteuerlich, da die Abfolge der kurzwelligen Hochs und Tiefs in den Modellen zeitlich verschoben gerechnet wird. Möglich ist ein schwach wirksames Zwischenhoch am Samstag, das bereits am Sonntag von der nächsten Kaltfront verdrängt wird. Es gibt aber auch Rechungen, die es zwei bis drei Tage stabiler und hochsommerlich warm wollen, wie schon aktuell aber mit einer drohenden Luftmassengrenze knapp nördlich von uns. Mit dem daraus resultierenden Überraschungspotenzial müssen wir wohl oder übel noch längere Zeit leben müssen…

Gewittervorschau 10.-16.07.2020

Denjenigen, die das Wetter nicht nur mittels Blick aus dem Fenster, sondern auch auf Wetter- und Modellkarten verfolgen, erzähle ich hiermit wohl nichts Neues: Dieser Sommer ist ein typischer Westlagen-Sommer. Dabei verläuft der Jetstream mehr oder weniger glatt vom Nordatlantik bis Europa und mäandert nur wenig. Für unsere Witterung massgeblich ist bei solchen Lagen das Verhalten des Azorenhochs. Dieses liegt wie ein grosser, fetter Wal auf dem Nordatlantik. Atmet es ein, bläht es sich auf und wirkt bis in den Alpenraum. Atmet es aus, schrumpft es und wenn die Windrichtung stimmt, trifft uns gelegentlich der Wasserstrahl aus seinem Atemloch. Die letzten drei Tage hat der Wal tief eingeatmet: Wir hatten Hochdruckwetter. Freitag/Samstag atmet er aus, Sonntag/Montag atmet er ein, Dienstag/Mittwoch atmet er aus… die Fortsetzung kann sich jeder selbst denken.

Blicken wir auf die Karte mit den steuernden Hoch- und Tiefdruckgebieten und den Windströmungen in rund 5500 m, so sehen wir am Freitag das sich in die linke untere Schmollecke zurückgezogene Azorenhoch und ein umfangreiches Tiefdrucksystem über Nordeuropa mit mehreren Randtiefs. Eines davon ist für uns besonders interessant, es steuert nämlich in der Nacht auf Samstag eine Kaltfront zu uns: das kleine Tief über der Nordsee bzw. in der Bodendruckkarte heute noch über England:

Die Besonderheit hierbei: Es handelt sich um den ehemaligen Tropensturm „Edouard“ – aussergewöhnlich früh in der Saison hat er einen neuen Rekord aufgestellt: Noch nie wurden vor dem 10. Juli fünf Tropenstürme verzeichnet (sie waren allerdings allesamt schwach). Die dafür spezialisierten Wetterdienste prognostizieren eine sehr aktive Hurrikan-Saison, wir können uns also noch auf etwas gefasst machen – bringen diese ex-Tropentiefs doch regelmässig unser Wetter durcheinander. Betrachten wir die Trajektorien der Luftmasse für den Zeitpunkt Freitagabend auf dem Jungfraujoch, sehen wir einen lehrbuchhaften Weg, an dem sich das Verhalten von Luftpaketen in Hochs und Tiefs ablesen lässt:

Richten wir das Augenmerk auf die rote Linie, die sich am Freitagabend ungefähr auf Höhe des Jungfraujochs befinden soll (700 hPa = ca. 3200 m), so sehen wir, dass es sich hierbei um eine Luftmasse tropischen Ursprungs handelt, die im Schlepptau von „Edouard“ über den Atlantik zu uns gelangt. Heute Donnerstag ist sie im Hoch abgesunken und befindet sich knapp westlich der Schweiz, das ist die Luftmasse, die uns den heutigen Hitzetag beschert hat. Man sieht auch sehr schön, wie dieses Luftpaket im Verlauf des Freitags unter Tiefdruckeinfluss angehoben wird, unterstützend wirkt sicher auch die Hebung an den Alpen bei westlicher Anströmung. Alleine diese Luftmasse würde uns keine Gewitter bringen, denn durch das gestrige und heutige Absinken im Hoch ist sie völlig ausgetrocknet worden. Betrachten wir aber den Weg der Luftmassen in etwas höheren Schichten (600 und 500 hPa, grüne und blaue Linie), so sehen wir, dass da die Herkunft eine andere ist, nämlich rund um die Iberische Halbinsel, und dass diese schon länger wieder auf dem aufsteigenden Ast ist – sie ist entsprechend auch feuchter. Das Benzin für die Freitagsgewitter wird also nicht vom Boden, sondern in der Höhe geliefert.

Der Freitag beginnt noch sonnig, wenn auch mit den obligaten hohen Wolkenfeldern (welche die Anfeuchtung in der Höhe sichtbar machen), und es wird zunehmend schwül. Etwa um die Mittagszeit bilden sich die ersten Schauer und Gewitter in den Alpen (ja, wir haben Hochsommer, die bremsende Schneebedeckung fällt weg) und ziehen unter Verclusterung nach Nordosten. Es dürfte daher wohl Mitte Nachmittag werden, bis es auch an den Voralpen auslöst, und im Verlauf des Abends frisst sich die Entwicklung allmählich ins Mittelland. Grund dafür ist die bodennahe Winddrehung auf Nordwest, was eine Konvergenz mit dem Outflow aus den Alpen erzeugt:

Solche Konstellationen riechen schwer danach, dass die Nordwestschweiz, der Jura sowie die nördlichen und westlichen Teile des Mittellands weitgehend gewitterfrei ausgehen, während es vor allem den Voralpen entlang und im angrenzenden Hügelland zu Unwettern mit Starkregen, Hagel bis mittlerer Grösse und lokalen Sturmböen kommt. Die zuvor leer ausgegangenen Gebiete können in der Nacht eventuell noch etwas Regen von der nachrückenden Kaltfront erhalten, die Modelle sind hierbei aber recht widersprüchlich – was wohl auf einen Kompromiss mit nicht allzu ergiebigen und womöglich auch nicht flächendeckem Niederschlag hinausläuft. Also wohl wieder ein windiger Kaltfrontdurchgang wie schon letzten Montag mit örtlich stürmischen Böen vor allem vom Jurasüdfuss (Joran) bis zum Bodensee.

Am Samstagmorgen regnet es am Alpennordhang wohl noch verbreitet mit allmählich nachlassender Intensität. Tagsüber kommt es noch zu spärlichen Schauern, im Flachland lockert es bereits wieder auf.

Und am Sonntag atmet der Wal wieder tief ein… Es bildet sich eine Hochdruckbrücke knapp nördlich von uns, sodass Bise aufkommt. Bis inklusive Montag bedeutet das wieder ruhiges und mässig warmes Hochdruckwetter. Erst am Dienstagabend oder sogar erst am Mittwoch erreicht uns eine nächste Störung, deren Intensität aber wohl deutlich schwächer ausfällt – ob es da für Gewitter reicht oder ob die ganze Sache erneut weitgehend trocken abläuft, ist noch offen. Jedenfalls geht das Auf und Ab der Temperaturen in die nächste Runde. Man darf gespannt sein, was uns dieser Sommer noch so bringt… extreme Ausreisser von der Klimanorm sind weiterhin nicht in Sicht:

Gewitterrückblick 01.07.2020

Eine sehr dankbare Zeit für die Blitzfotographie ist die Abenddämmerung. Dieser Schnappschuss gelang von Sellenbüren Richtung Süden, kurz bevor es komplett dunkel wurde.

Wir möchten Fabienne’s Gewittervorschau vermehrt mit einem Gewitterrückblick ergänzen. Der erste Tag des zweiten Sommermonats war ein sehr ausgiebiger Gewittertag. Auf der Vorderseite eines flachen Gewittertroges war es eher schwachwindig. Trotzdem gab es einige gut organisierte Gewittersysteme, welche da und dort auch mittelgrossen Hagel im Gepäck hatten. Die Orographie war einmal mehr prägend für die Gewitterentwicklung. Dank klarer Luft war die Beobachtung der Gewitter für Sturmjäger und weitere Interessierte ein Genuss. Die Resultate, zahlreiche Fotos und auch Videos werden jeweils im Sturmforum (sturmforum.ch) publiziert.

Die Regensummenkarten (meteoradar.ch/regenkarten) zeigen exemplarisch die für instabile Sommertage charakteristische Gewitterentwicklung: zuerst im Jura, gefolgt von den Voralpen und schliesslich am Abend im Mittelland. Aufgrund dieser Karten können auch gleich drei massgebende Gewitterzüge identifiziert werden:

– im Jura (13 – 16 Uhr) von Tavannes bis Breitenbach
– in den Voralpen (16 – 19 Uhr) vom Entlebuch zum oberen Zürichsee
– im Mittelland (19 – 02 Uhr) von Fribourg zum oberen Zürichsee

Die Regensumme überschritt vielerorts 20 mm in kurzer Zeit, vereinzelt gab es auch mehr als 40 mm. Das Maximum des SMN Messnetzes der Meteoschweiz wurde mit 40 mm in Engelberg registriert. Das sind keineswegs ungewöhnliche Werte für Sommergewitter, grössere Schäden durch Überflutungen sind unseres Wissens zum Glück weitgehend ausgeblieben. Etwas weniger günstig dürfte die Bilanz bei den Hagelschäden aussehen. Das Voralpengewitter (16 – 19 Uhr) war für die stärksten Hagelsignaturen des Tages verantwortlich. Dabei waren 3 Zentren auszumachen: etwa bei Büren (Nidwalden), Sattel (Schwyz) und Schmerikon (St. Gallen). Aus diesen Gegenden liegen Hagelmeldungen mit Korndurchmesser im Bereich von 2-4 cm vor. Das entspricht etwa den Schätzwerten aufgrund der Radarmessdaten. Es ist zur Zeit offen, ob dieses linkssziehende Voralpengewitter Merkmale einer Superzelle aufwies. Hierzu müssten Dopplerwinddaten nachgeprüft werden. Abgesehen von diesem Gewitter gab es kaum Hinweise auf Superzellen an diesem Tag.

Regensummenkarte 3 Std., 1.7.2020, 13 – 16 UhrRegensummenkarte 3 Std., 1.7.2020, 16 – 19 Uhr Regensummenkarte 3 Std., 1.7.2020 19 Uhr – 2.7.2020 2 UhrRegensummenkarte 24 Std., 1.7.2020 0730 Uhr – 2.7.2020 0730 UhrDie Panorama-Webcam in Sellenbüren gibt, dank der Ausrichtung nach SW, einen umfassenden Überblick über das Geschehen am Himmel vom Jura bis zu den Alpen. Der folgende Ausschnitt aus dem Tageszeitraffer zeigt exemplarisch die Entwicklung der drei aufgelisteten Gewitterzüge über dem Jura, den Voralpen und dem Mittelland. Beeindruckend vor allem, wie sich das Geschehen am Himmel nach dem Abzug der Voralpengewitter scheinbar beruhigt und der blaue Himmel wieder dominiert. Dann plötzlich, wie aus der Feder geschossen, steigen ganz rechts im Bild die ersten Hungertürmchen hoch. Die folgende Entwicklung ist dann nicht mehr aufzuhalten. Leider wird der Fluss des Zeitrafferfilms durch kurze UPC-bedingte Netzausfälle etwas gestört. Das Flackern am Filmende hat nichts mit Blitzen zu tun, sondern vielmehr mit dem mehrmaligen Versuch der Kamera, vom Tages- auf den Nachtmodus umzuschalten.

Zum Schluss der Radarfim des Tages, in welchem die Gewitterentwicklung für Interessierte im 5-Minuten Schritten aufgezeichnet ist. Die Tagesfilme sind für die User des kostengünstigen 3D-Radars von meteoradar für alle Tage der vergangenen 9 Monate verfügbar.

Gewittervorschau 26.06.-02.07.2020

Bern, 24.06.2016

Es gibt zum Glück immer noch einige zuverlässige Regeln im mitteleuropäischen Wetterkalender. Dazu gehört, dass uns im letzten Junidrittel der Hochsommer einen ersten Besuch abstattet, egal wie doof sich der Monat zuvor angestellt hat. Mit Hochsommer sind nicht nur Temperaturen deutlich über 25 Grad gemeint, sondern auch energiereiche Luftmassen, die mehr als nur die frühsommerlichen Schwachstromgewitter produzieren können, die sich hauptsächlich von der Labilität durch Höhenkaltluft ernähren. Es ist diese aktuelle Kombination aus Wärme und Feuchte, welche den Unterschied zu einer „normalen“ Gewitterlage ausmacht. Das Mehr an Wassergehalt einer Luftsäule und der stärkere Auftrieb bodennaher sehr warmer Luft sind nicht nur für extreme Starkregenereignisse und Hagel, sondern auch für deutlich blitzintensivere Gewitter verantwortlich.

Das wird sofort deutlich, wenn wir uns die aktuelle Luftmassenkarte von Europa anschauen:

Die grünen und gelben Flächen von vor zwei Wochen haben sich fast vollständig aus dem Kontinent verabschiedet. Mitteleuropa liegt zwischen einem sich abschwächenden Hoch über Osteuropa und einem Tief vor den westeuropäischen Küsten in einer südlichen Anströmung. Nicht zu sehen in dieser Karte ist ein kleines Höhentief im Grenzgebiet DE/AT/CZ, dessen Einfluss heute Morgen bis in die Ostschweiz reichte und für die kräftigen Gewitter in der Bodenseeregion verantwortlich war. Mit der Ostverlagerung dieses Höhentiefs verliert sich dessen Einfluss und es hat sich ein schwacher Höhenrücken positioniert, der jetzt zur Mittagszeit die Gewitter im Uhrzeigersinn bogenförmig nördlich um die Schweiz herumführt. Mit dessen Ostverlagerung im weiteren Tagesverlauf geraten wir aber in die vorderseitige schwüle Südwestströmung des Tiefs im Westen. Darin eingelagert sind mehrere Kurzwellentröge, die erste Gewitterstörung liegt bereits vor den Toren Genfs und zieht im Lauf des Nachmittags durchs Schweizer Mittelland. Fraglich dabei ist, wie vital die bereits existierende Gewitterlinie bleibt. In den gestrigen Abendmodellen wurde sie als sturmbringende Druckwelle durchs Mittelland gerechnet, derzeit stehen die Zeichen eher auf Abschwächung, aber mit Neuentwicklungen im Lauf des Nachmittags über dem Jura und den Voralpen. Wie so oft bei solchen Lagen ist das Überraschungspotenzial hoch und zuverlässige Prognosen sind erst im Nowcast-Bereich, also wenige Stunden vor Eintreffen eines Unwetters, möglich. Klar ist: Wärme, Feuchte und Labilität sind ausreichend für heftige Entwicklungen, zusätzlich sorgt eine Divergenz in der Höhe für weiteren Auftrieb. Aufgrund der Windscherung (Windzunahme mit der Höhe und Drehen des Höhenwindes auf Südwest, am Boden eher West) ist auch mittelgrosser Hagel wahrscheinlich. Noch nicht ganz klar ist, wie gut sich die Gewitter organisieren, und somit ob als Begleiterscheinung eher kleinräumige Sturmböen oder doch eine breitere Böenfront auftritt.

Nach den aktuellen Unterlagen zieht ein weiteres Paket am frühen Samstagmorgen unter Abschwächung durch. Das würde bedeuten, dass es dann tagsüber eine Zeitlang eher ruhig bleibt und neue Entwicklungen erst gegen Abend auftreten. Die Modelle sind diesbezüglich noch sehr zurückhaltend, die Ruhe könnte aber trügerisch sein. Wer also etwas plant, sollte am Samstag nach Updates der Wetterberichte Ausschau halten – der Kurzwetterbericht unter dem meteoradar-Loop wird bei solch unsicheren Lagen bei Bedarf auch mehrmals täglich aktualisiert.

Der Sonntag steht dann im Zeichen einer Kaltfront:

Wie lange es zuvor noch sonnig und trocken bleibt, wird wohl auch kurzfristig mit der Geschwindigkeit der Front entschieden. Derzeit sieht es so aus, als ob man spätestens ab Mittag mit kräftigem Regen, Gewittern und möglicherweise auch stürmischen Böen rechnen muss. Da es sich um eine zusammenhängende Front handelt, wird es bis zum Abend im ganzen Land nass und am Alpennordhang regnet es sich in der Folge eine zeitlang ein. Am Montag folgt wechselhaftes Rückseitenwetter mit Schauern, die im Mittelland wohl eher spärlich, am Alpennordhang häufiger auftreten.

Nach derzeitigem Fahrplan soll am Dienstag unter Hochdruckeinfluss wieder deutlich wärmere Luft einfliessen, dabei bleibt es (wenn überhaupt) wohl bei einzelnen kurzlebigen Gewittern in den Bergen. Am Mittwoch und Donnerstag feuchtet es wieder an und es ist mit einer Zunahme der Gewitterneigung zu rechnen. Die Modelle sind sich hierbei aber über die Grosswetterlage (eher West oder Südwest, mehr oder weniger Hochdruckeinfluss) noch nicht einig, daher ist es müssig, bereits jetzt über Details zu spekulieren.

Gewittervorschau 12.-18.06.2020

Es ist noch nicht allzu lange her, da schwebte noch das Gespenst eines weiteren Dürre- und Hitzesommers über Mitteleuropa. In Anbetracht der letzten zwei Jahre und des trockenen Bisenfrühlings gar nicht so weit hergeholt. Nun haben sich jedoch die Druckverhältnisse über Europa zwar geringfügig, aber für das Wetter im Alpenraum entscheidend verschoben. Die Luftmassen kommen zwar zum grössten Teil immer noch aus derselben Richtung wie während den vergangenen zwei Monaten, liegen aber jetzt hauptsächlich unter Tiefdruckeinfluss – und schon ist der Witterungscharakter ein völlig anderer. Angesichts der Neigung zur Persistenz dürfte uns auch bald diese Wetterlage buchstäblich bis zum Hals stehen.

Der Titelkarte mit den grossräumigen Windströmungen und Druckgebilden können wir entnehmen: Noch immer sitzt ein fettes Hoch über dem zentralen Nordatlantik und ist massgeblich für das meridionale Zirkulationsmuster über Europa verantwortlich. Zwischen ihm und einem zweiten Hoch über Skandinavien wie auch am östlichen Rand desselben fliesst immer wieder Polarluft in Richtung Kontinent, wo sich Tröge und abgetropfte Tiefdruckgebiete gleich als Grossfamilie gemütlich einrichten. Sie schubsen sich gegenseitig – wie bei Kleinkindern üblich – ein bisschen umher und gestalten die Detailprognosen für die einzelnen Regionen zum bildlich gesprochenen Roulette, an der Grosswetterlage ändert sich aber auf absehbare Zeit nichts. Und so dürfen wir uns wohl noch eine ganze Weile an diesem Chaos erfreuen…

Chaos ist das richtige Stichwort, denn unter dieser, im Alpenraum der Höhenkarte zu entnehmenden klaren Südostströmung, spielt sich in Bodennähe an diesem Wochenende Interessantes ab. Durch Erwärmung und Streckung der Luftsäule im Lee der Alpen bildet sich eine langgezogene, von den Alpen bis nach Nordwestdeutschland reichende Tiefdruckrinne:

Während also in der Höhe immer noch warme und feuchte Mittelmeerluft über die Alpen nach Norden strömt, stellt sich auf der Rückseite der Tiefdruckrinne bodennah eine Nordwestströmung ein, unterstützt durch ein kleines Zwischenhoch über Ostfrankreich. Die perfekte Gegenstromlage ist geboren, wie der von Nordwest nach Südost verlaufende Vertikalschnitt durch die Schweiz zeigt:

Am Samstagabend erreicht kühlere Luft aus Nordwesten die Alpennordseite und wird durch die Topographie angehoben, quetscht die Warmluftreste an den Voralpen aus und drückt sie in die Höhe, wo sie mit der feuchten Luftmasse aus Süden konvergiert. Vor dem Eintreffen der Kaltluft ist es noch lange sonnig, die Grundschicht heizt sich unter der stechenden Junisonne auf und es entstehen dort, wo der Föhn keinen grossen Einfluss hat (also in der westlichen Landeshälfte der Schweiz) im Lauf des Nachmittags erste kräftige Gewitter. Diese können Sturmböen weit voraus durchs Mittelland schicken, und am Jurasüdfuss kommt wahrscheinlich auch noch der Joran ins Spiel. Nach der üblichen Formel des Labilitätsindexes (Differenz 850 zu 500 hPa lediglich 25 Grad Differenz), wäre bald mal Schluss mit Gewittern, doch aufgrund der oben geschilderten Prozesse gleicht die starke Hebung die abnehmende Labilisierung aus. Das reicht zwar nicht mehr für schwere Hagelgewitter, aber noch lange für sich nur langsam verlagernden, gewittrigen Starkregen. Dieser zieht im Lauf des Abends und der Nacht zum Sonntag langsam von den westlichen und zentralen Landesteilen in die Nordostschweiz und dürfte wohl recht flächig werden. Lokale, vielleicht auch grössere Überschwemmungen dürften dabei nicht ausbleiben. Am Sonntagmorgen zieht dieser Starkregencluster dann allmählich unter Abschwächung über den Bodensee weiter nach Bayern.

Das war’s dann vorerst auch wieder mit dem Sommerintermezzo. Was folgt, ist eine unbeständige Woche mit Temperaturen in der Höhe, die ungefähr dem langjährigen Mittel entsprechen:

Der Montag scheint unter leichtem Zwischenhocheinfluss noch am ehesten trocken verlaufen zu können, danach beginnt das Quengeltiefdruckroulette von vorne. An welchen Tagen in welchen Regionen eher die sonnigen oder die bewölkten Abschnitte überwiegen und wo es zu Schauern und Gewittern kommt, kann höchstens von Tag zu Tag bestimmt werden – wenn überhaupt. Am besten rechnet man einfach mit allem, was ein unbeständiger Juni so hergibt: Damit kann man kaum falsch liegen. Jedenfalls ist für Feuchtenachschub in der Höhe aus dem Mittelmeerraum und in den unteren Luftschichten vom Atlantik bzw. der Nordsee her gesorgt, sodass sich in Mitteleuropa wirklich niemand mehr über Trockenheit beklagen kann. Diese Niederschlagssummenkarten sind zwar nur als grobe Tendenz zu verstehen, in dieser Eindeutigkeit ist die vorgegebene Richtung allerdings klar:

Gewittervorschau 03./04.06.2020: das erste Sommerintermezzo

Gerne würden wir an dieser Stelle die Saison mit einer Gewittervorschau für die ganze Woche eröffnen, doch dieser Frühling/Frühsommer will einfach nicht so richtig in die Gänge kommen. Nach der gefühlt zweimonatigen Bisenlage dreht der Wind zwar kurzzeitig auf West bis Südwest, die nächste Klatsche aus Grönland folgt aber auf dem Fuss. Man kann die kommende Gewitterlage also durchaus als Ein(einhalb)tagesfliege bezeichnen. Keine ausbrechende Euphorie also in den Wetterbüros, zumal derzeit auch keine Grossanlässe vor Unwettern gewarnt werden müssen. Dieser Beitrag ist also vielmehr dazu gedacht zu zeigen, dass wir immer noch da wären, wenn es uns denn wirklich brauchen würde…

Die Titelkarte (sie lässt sich mit einem Klick in Originalgrösse anschauen) zeigt die grossräumige Lage mit den steuernden Druckgebieten und den Windströmungen in rund 5500 m Höhe am Mittwochabend. Auffällig ist die Situation auf dem Nordatlantik mit einer High-over-low-Lage: Blockierendes Hochdruckgebiet südwestlich von Island und Tiefdruckgebiet südlich davon über den Azoren. Über Osteuropa ist das alte Tief zu sehen, das uns seit Wochen zusammen mit dem inzwischen zur Barentssee vertschüssten Briten- bzw. Skandihoch die Bisenlage beschert hat. Eben dieses sich Verdrücken des alten Hochs öffnet Tür und Tor für einen Trog, der sich von Grönland her allmählich nach Westeuropa vorarbeitet und uns die schöne schwül-warme Südwestströmung gleich wieder abmurkst. Auch wenn die Windrichtung bei uns in den Folgetagen auf West oder Südwest verharrt, so handelt es sich dabei doch um nichts anderes als auf kleinem Umweg über die Biskaya gesteuerte Polarluft – der Gewitterkiller schlechthin. Das Ganze ein paar Kilometer weiter östlich auf direktem Weg wäre der Schafskälte-Klassiker bis Mitte Juni – ganz vom Tisch ist diese Variante noch nicht, wenn auch die Modelle in den letzten Läufen von diesem Szenario etwas abgerückt sind. Da wird aber noch etwas zu sehr hin- und hergehüpft, um daraus wirklich schlau zu werden.

Wir können es also kurz machen: Innert kürzester Zeit wird der Hochdruck über Mitteleuropa abgebaut, aus Nordwesten nähert sich der Trog und auf dessen Vorderseite bildet sich am Mittwoch in warmer Luft ein Bodentief:

Das ist jetzt noch nicht wirklich die hochsommerliche Gewitterluftmasse (eine solche wäre rot in der Karte), aber immerhin reicht es mithilfe von zunehmendem Tiefdruckeinfluss, optimalen Windverhältnissen und allmählicher Anfeuchtung vom Mittelmeer her für etwas Bewegung – man ist ja derzeit bescheiden. Jedenfalls fängt es bereits um die Mittagszeit zuerst über dem Jura, später auch über den Voralpen zu brodeln. Aus den zunächst unorganisierten Einzelzellen können aufgrund der Windscherung (zunehmender Südwestwind in der Höhe) durchaus schnell ziehende, langlebigere Gewitter mit einem gewissen Hagelpotenzial erwachsen. Alles in allem sieht es nach klassischen Jura- und Voralpenschienen aus, die sich bis in den Abend ziehen. Dabei ist es gut möglich, dass einzelne stärkere Jurazellen nach rechts ins Mittelland ausscheren. Etwas Hagel- und Sturmprävention an Haus und Garten ist also vor allem am Jurasüdfuss sicher nicht ganz falsch…

Ein zweiter Schub folgt in der Nacht auf Donnerstag im Zuge der Annäherung einer Kaltfront. Deren Geschwindigkeit wird darüber entscheiden, ob es am Donnerstag tagsüber zu weiteren Gewittern kommt. Derzeit stehen die Zeichen für den Vormittag/Mittag noch günstig, im Lauf des Nachmittags sickert aber mit Winddrehung auf West bis Nordwest bodennah kühlere Luft ein. Da gleichzeitig der Trog nicht weiter nach Osten vorankommt und die Höhenkaltluft über Frankreich verharrt (und in der Folge sogar wieder nach Norden zurückgedrängt wird), ist die Labilität für Gewitter bald nicht mehr ausreichend und es plätschert dann einfach gemütlich vor sich hin. Je nach Intensität des Regens und der daraus folgenden Niederschlagsabkühlung ist es durchaus möglich, dass am Freitagmorgen die höchsten Juragipfel etwas angezuckert werden – weiter landeinwärts gelangt die Kaltluft vorerst wohl nicht.

Der Rest ist dann schon sehr spekulativ: Weil das Trogresiduum als CutOff-Tief über den Britischen Inseln stehen bleibt, verbleibt die Schweiz am Wochenende in einer südwestlichen Strömung und immer nah an der Luftmassengrenze. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass uns mal kurzzeitig (derzeit sieht es am ehesten für Samstag danach aus) wieder wärmere Luftmassen erreichen, die noch mal für etwas Gewitterneigung sorgen können:

Wie eng es dabei zugeht, zeigt die sehr kühle Luftmasse über Nordwesteuropa. Von Gewitter bis Schneefall in mittlere Lagen ist daher am Wochenende eigentlich alles möglich:

Hoffnungsvoll feucht-warm sieht es mittlerweile hingegen zur Monatsmitte aus – allerdings noch zu weit weg, um als bare Münze genommen zu werden.